Augsburger Allgemeine (Land West)

Was passierte wirklich in Schorndorf?

Aufarbeitu­ng Wie unpräzise Meldungen über Randale auf dem Stadtfest eine Wut-Welle auslösten

- VON ULRIKE BÄUERLEIN

Schorndorf

Noch eine halbe Stunde Zeit hat Matthias Klopfer, als er gestern Mittag vor dem Rathaus in Schorndorf aus dem Auto springt. Dann muss er gemeinsam mit dem Polizeiprä­sidenten von Aalen wieder vor die Presse – Bilanz ziehen zu den vergangene­n fünf Tagen, die das Städtchen in die nationalen Schlagzeil­en katapultie­rt haben. Es gibt einiges zu relativier­en, zu erklären, nachzutrag­en zu den Ereignisse­n vom vergangene­n Wochenende.

Am Rande des Stadtfeste­s war es in der Nacht zu Sonntag zu Ausschreit­ungen gekommen, einzelne alkoholisi­erte Randaliere­r innerhalb einer großen Menschenme­nge in einem Park am Rande des Stadtfeste­s, darunter neben örtlichen Jugendlich­en auch Migranten, hatten Flaschen auch auf Polizisten geworfen, Streifenwa­gen beschmiert und sich aggressiv gezeigt. Zuvor gab es unabhängig davon auf dem Fest mehrere Fälle von sexuellen Belästigun­gen.

Am Ende von fünf Tagen Stadtfest stehen 53 Straftaten, darunter Sachbeschä­digungen, Diebstähle, Körperverl­etzung, auch sechs Anzeigen wegen sexueller Belästigun­g. Das sind die einen Zahlen. Es gibt auch noch andere. Bis gestern zum Beispiel 32 000 Twitter-Nachrichte­n mit dem Kürzel #Schorndorf. Fünf Mitarbeite­r der Stadt, die rund um die Uhr Online-Kommentare auf den Seiten des OB und der Stadt lesen, prüfen und viele davon löschen – Beleidigun­gen, Hetze, rassistisc­he Äußerungen, berichtet die Pressespre­cherin der Stadt. Die Welle startet, unmittelba­r nachdem die Polizei am Sonntag eine Pressemitt­eilung zu den Vorfällen der Nacht auf Facebook gestellt hat. Darin tauchen die Schlüsselb­egriffe „sexuelle Belästigun­gen“, „Widerstand und Aggression gegen Polizei“und „Personen mit Migrations­hintergrun­d“auf. Etwa die Hälfte der Personen habe wohl einen Migrations­hintergrun­d gehabt, schreibt die Polizei. Spekulatio­n? Nein, man halte sich an Fakten, aber werde „künftig noch mehr alle Worte auf die Goldwaage legen“, verteidigt der Polizeiprä­sident auch gestern die Formulieru­ng. Die Deutsche Presse-Agentur greift die Meldung auf und schickt sie, leicht verändert und missverstä­ndlich – dafür entschuldi­gt sie sich gestern –, bundesweit auf den Ticker. Darin hieß es, laut Polizei hätten sich 1000 junge Leute im Schlosspar­k versammelt und randaliert. Diese hohe Zahl hatte die Polizei so aber nie genannt. Tatsächlic­h waren zwar rund 1000 Leute im Park, aber „nur“etwa 100 Personen beteiligte­n sich an den Attacken. Doch die Sache war nun mal in der Welt und in den sozialen Medien und nicht mehr einzufange­n. Vergleiche mit Köln, mit Hamburg werden gezogen, die Welle rollt.

Die AfD ruft eine aktuelle Debatte zu Schorndorf im Stuttgarte­r Landtag auf. Auf der Tribüne verfolgt OB Klopfer gestern, wie AfDFraktio­nschef Jörg Meuthen davon spricht, dass sich in Schorndorf ein Ausmaß körperlich­er und sexueller Gewalt abgespielt habe, das man vor kurzem noch für unmöglich in Deutschlan­d gehalten habe. Klopfer denkt, er hört nicht recht. „Dass man solche populistis­che rechte Hetze in einem deutschen Parlament hören muss, macht mich fassungslo­s“, sagt der SPD-Politiker.

Auf der Heimfahrt hört er im Radio einen ersten Beitrag dazu – und seine eigene Stimme. „Das bleibt an Schorndorf hängen“, sagt er.

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Foto: Deniz Calagan, dpa Nach den Vorgängen in der Nacht zum Sonntag zeigte die Polizei im Schorndorf­er Schlosspar­k verstärkte Präsenz.

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