Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Tour der Leiden
Die Frage ist schwer zu beantworten, und wird doch immer wieder gestellt: Wer übt den härtesten Sport aus? Die Geschichten von der Tour de France zeigen, dass die Radprofis zu den ganz großen Helden zählen. Sie quälen sich die Berge nach oben und müssen nicht nur die Gegner besiegen, sondern sich auch der aufdringlichen Fans erwehren. Sie rasen die Abfahrten nach unten. Sie stürzen und brechen sich Schlüsselbeine und Handgelenke.
Gestern hielt sich der Spanier Markel Irizar während der rasenden Fahrt an einem Begleitfahrzeug fest und ließ eine Schürfwunde am linken Arm verbinden. Verschrammte Profis in zerfetzten Trikots – Alltag der Tour de France.
Sie schwitzen und bluten und leiden und sitzen wenn irgendwie möglich am nächsten Tag wieder im Sattel. Die Fans können dem schaurig-schönen Spektakel ganz nahekommen, ohne Eintritt zu zahlen. Oder am Tag danach mit dem Rennrad die Rampen auf den Galibier nach oben hecheln und sich mit dem berühmten Satz von Udo Bölts an Jan Ullrich selbst motivieren: Quäl dich, du Sau.
Die große Schleife durch Frankreich hat nichts von ihrer Faszination verloren. Die tägliche Hatz durch die Hitze, die Triumphe der Sprinter, die Tragödien der Gestürzten, die Taktik der Teams und die Psychospiele auf zwei Rädern – zahllose Geschichten liegen auf den insgesamt 3540 Kilometern der Tour 2017. Die Dopingskandale der vergangenen Jahre beschädigten das Image des härtesten Radrennens der Welt, das ohne unerlaubte Hilfsmittel kaum zu bewältigen schien. Doch die RadsportFans lassen nicht abreißen.
Sie fiebern mit ihren Favoriten, analysieren die Taktik, beobachten das Material der Masochisten auf zwei Rädern. Die Anhänger jubeln zu Hunderttausenden an den Strecken der Karawane zu, die sich mit den kreisenden Hubschraubern ankündigt.
Am Sonntag endet der Wettstreit auf den Champs Elysees in Paris. Die Tour zeigt in diesen Tagen, warum sie die Menschen in Massen fasziniert.