Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn nur jeder Gipfel so wäre …
Internationaler Jazzsommer Die drei Saxofonisten Greg Osby, Joe Lovano und Dave Liebman treffen im Botanischen Garten aufeinander. Das Genie eines vierten schwebt über dem Konzert
Wenn sich im Jazz mehrere Saxofonisten verabreden, heißt das längst nicht mehr „Battle“wie noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als sich musizierende Krieger auf offener Bühne duellierten, sondern „Summit“. Aus der Schlacht wurde im Laufe der Jahre ein Gipfel, diplomatisches Geplänkel obsiegt inzwischen über maskulines Kräftemessen. Sind wir klüger geworden? Und: Hat der Jazz davon profitiert?
Nimmt man exemplarisch den Saxophone Summit mit Dave Liebman, Joe Lovano und Greg Osby, der im Rahmen des Augsburger Jazzsommers vor nahezu voll besetzten Stuhlreihen im Botanischen Garten tagte, so klingt das zunächst freundschaftlich, kameradschaftlich per se, gerade so als würden sich gestandene Männer zum Kegeln, Grillen oder Fußballspielen treffen. Auch wenn das gemeinsame Musizieren von drei der gewichtigsten Saxofonisten der Gegenwart nichts mehr mit jenen Blut-und-EhrenScharmützeln im Stile eines Eddie Lockjaw Davis oder Johnny Griffin gemein hat, so präsentiert es sich nichtsdestotrotz hochgradig testosterongeschwängert.
Liebman, Lovano und Osby blasen im malerischen Sommerambiente unter freiem Himmel nicht mehr gegeneinander. Dennoch sind es bei Lichte betrachtet instrumentale Na- ein einvernehmliches Posen in höchster Vollendung, vielleicht weniger, um den anderen in der Gunst des Publikums auszustechen, sondern vielmehr, um zu zeigen, wo die wirklich wichtigen Dinge in der Musik passieren. Dafür benützen die drei einen zeitlosen gemeinsamen Nenner, der für jeden das eigentliche Initial ihrer beispiellosen Karriere darstellte: John Coltrane.
Die Musik des 1967 verstorbenen, vielleicht wichtigsten Saxofonisten aller Zeiten lebt nicht zuletzt in den Protagonisten des Augsburger Jazzsommers weiter, ganz egal, ob sie nun ein Alt- (Osby), ein Sopran(Liebman) oder ein Tenorsaxofon (Lovano) bedienen. Jeder für sich hat eine eigene, unverwechselbare Klangfarbe kultiviert. So ermöglicht die nach allen Seiten offene Bühne des Botanischen Gartens einen 360-Grad-Blick auf ein Genie, das während des gesamten Abends über dem Konzert schwebt.
Da ist zum einen Osby, der kühnkühle Klangarchitekt, der seine Läufe wie Girlanden aneinanderbelschauen, bindet und bei dem die Töne stets an Stellen auftauchen, an denen sie keiner erwartet. Liebman dosiert seine Überblastricks und flatternden Zungenspiele auf ein angenehm stimmiges Maß und schickt auch so manchen heißeren Hauch durchs Mundstück. Dazwischen: Ein Taumeln, Trudeln, Schlurfen und Flüstern, walzernde Wogen oder knisternder Calypso. Lovano bläst, als wehe ein Vorhang im Wind: feinnervig, strukturiert, edel, voller geheimnisvoller Magie und innerer Kraft. Gepaart mit einer Traumbesetzung um den empathischen Drum-Tausendsassa Billy Hart, die dezent agierende Bass-AvantgardeLegende Cecil McBee und den scheinbar mit zehn offenen Ohren ausgestatteten Pianisten Phil Markovitz konferiert dieser Summit unaufgeregt und konzentriert.
Dass nach der Pause mit dem Weilheimer Johannes Enders, dem augenblicklich besten deutschen Tenoristen, ein weiterer Saxofonist zu der Männerrunde hinzustößt, der John Coltrane im Prinzip alles zu verdanken hat, ist ein Segen. Vier Saxofonisten und drei überragende Rhythmiker verzahnen und verlieren sich im Strudel von „Compassion“und dehnen diesen auf eine gewaltige Stunde in der Abenddämmerung aus. Freiheit unter dem Deckmantel der Poesie.
Wenn nur alle Gipfel so enden würden.