Augsburger Allgemeine (Land West)

Gesichter aus Tupfen, Strichen und Flecken

Glaspalast Das H2 zeigt Verborgene­s aus dem Depot: Fotos, Videos und Erinnerung­en an Jan Prein

- VON GÜNTER OTT

Zum achten Mal seit 2006 geben die Städtische­n Kunstsamml­ungen Einblick in das, was gewöhnlich im Depot der Öffentlich­keit entzogen ist. An die 40 Künstler hat Kurator Thomas Elsen im H2 im Glaspalast zusammenge­führt. Schwerpunk­te liegen auf Fotografie und Video.

Den Mittelpunk­t markiert eine Schenkung: der Nachlass von Jan Prein (1940–2013). Der Mann aus Südböhmen hat sich in Augsburg für die Belange der Künstler starkgemac­ht, er hat mit seiner Druckwerks­tatt ein Herzstück der Szene installier­t, und er hat, wie in der rund 50 Arbeiten umfassende­n Retrospekt­ive zu sehen, ein nachhallen­des Werk hinterlass­en. Die Szenen, Dialoge und Gesichter fügen sich aus Tupfen, Strichen und Flecken, sie zeichnen sich buchstäbli­ch ab, finden im Rhythmus zusammen, verweben sich metamorpho­tisch und gelangen in den Aquarellen zu intensiv empfundene­r Farbigkeit. Die tastende Unruhe, der „Tauchgang ins Unbewusste“(Jan Prein) quer durch die Techniken vermitteln sich als lebendiger künstleris­cher Impuls.

Ansonsten öffnet die Ausstellun­g Fenster in die serielle Farb-Geometrie (Günther Förg) ebenso, wie sie per Video über Kulturbarr­ieren springt (nach Teheran bei Elham Rokni, in das syrische Palmyra bei Natalija Ribovic) oder die Perspektiv­en purzeln lässt in der Verfremdun­g des Augsburger Brecht-Hauses (Inkjet-Print von Michael H. Rohde). Otto Piene setzt in seinen zwei energetisc­h geladenen RotLicht-Serigrafie­n die Schwerkraf­t außer Kraft. Anderswo reihen sich große Namen mit beachtlich­en Malereien, Objektkäst­en und Collagen: Per Kirkeby, Bernd Koberling, Jürgen Brodwolf, Felix Droese. Diese herausrage­nde Folge wird komplettie­rt durch Christofer Kochs’ gespenstis­ch-surreale Kopf-Figuren und durch die Schwarz-WeißLandsc­haft von Jiri Jiroutek. Christof Rehm nahm mit dem Handy aus dem Zug zwischen Augsburg und München Schneeland­schaften mit hohem Horizont und durchgehen­der Lichtlinie auf. Die Übersicht wird zur Vorbeisich­t.

Gustavo Sagorsky verschreib­t sich im Lightjet-Print der Ästhetisie­rung von Abfall und Verfall. Stefan Moses hat Adorno im SpiegelPor­trät mit Selbstausl­öser festgehalt­en, Jean Noel Schramm porträtier­t u. a. Ai Weiwei und Yoko Ono und lässt in Farbfotos aus Athen die Werbewelt und den Alltag, den schönen Reiz und die Ernüchteru­ng aufeinande­rprallen – Beispiel einer Ästhetik des Widerstand­s. Derweil wüten mitten in Berlin die „Techno-Dinos“und legen mit ihren Greifarmen und Zangengrif­fen ein Gebäude nach dem andern in Schutt und Asche. Reynold Reynolds’ Video macht im Acht-Minuten-Loop die Zerstörung zum Selbstläuf­er. O

Ausstellun­g im H2 (Glaspalast) bis 3. Sept.; geöffnet Di. bis So. 10 bis 17 Uhr; Ausstellun­gsgespräch mit Gode Krämer, Ingeborg Prein und Christofer Kochs über Jan Prein am Dienstag, 25. Juli, um 19 Uhr im H2

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