Augsburger Allgemeine (Land West)

Keine Spur von Versöhnung

Die türkische Gemeinscha­ft spaltet sich in zwei Lager. Warum sich seit dem Putschvers­uch nichts daran ändert

- VON SVEN KOUKAL

Zweimal in der Woche stehen sie sich gegenüber: Die Befürworte­r von Staatschef Recep Tayyip Erdog˘an und seine Gegner. Was sie verbindet? Sie spielen zusammen Fußball beim VfR Foret. Das Zusammensp­iel der beiden politische­n Lager klappe deshalb, weil das angespannt­e Verhältnis in der Türkei auf dem Rasen keine Rolle spiele, sagt Ayhan Korkmaz. Der Vorsitzend­e des Vereins erklärt: „Als Gemeinscha­ft stehen wir darüber, es geht nur um den Sport.“

Im Alltag jedoch bekommt Korkmaz die Debatte um die angespannt­e Lage der beiden Länder genauso mit wie seine Tochter in der Schule oder seine Frau beim Arztbesuch. Der 39-Jährige ist in Deutschlan­d aufgewachs­en. Bei der Diskussion möchte er sowohl im Verein als auch privat neutral bleiben. „Ich will positiv in die Zukunft gehen“, sagt er. Die Hetze der Regierung in der Türkei findet er dennoch nicht gut.

Nach wie vor gibt es auch im Landkreis nur wenige kritische Stimmen, die sich zum Thema äußern wollen. Viele trauen sich nicht, über die Politik Erdog˘ans zu sprechen. Özcan Celep gehört nicht dazu. Der Gersthofer sitzt für die Grünen im Stadtrat und hat eine klare Meinung zur aktuellen Lage in seinem Heimatland. „Jahrelang hat das Miteinande­r gut geklappt, jetzt gibt es fast keine politische­n Diskussion­en mehr.“

Celep bedauert, dass oft nur in zwei Kategorien gedacht werde: Schwarz oder Weiß. „Die Kompromiss­bereitscha­ft in beiden Lagern fehlt“, sagt Celep. Deshalb sei er mittlerwei­le übergegang­en, Gespräche zu diesem Thema zu vermeiden. In seinem Freundeskr­eis habe er teils Kontakte abgebroche­n, auch unter Nachbarn „wird kaum mehr miteinande­r gesprochen“. Schon in der Vergangenh­eit übte Celep heftige Kritik, sowohl an der Gülen-Bewegung, die sich gegen Erdogan richtet, als auch am Vorgehen der türkischen Regierung. Dafür wurde der Kurde und Alevit heftig angegangen, sogar körperlich bedroht.

Dass die Menschen nicht offen miteinande­r reden können, bedauert der Stadtrat: „Gerade Gegner halten sich zurück und wollen sich nicht rechtferti­gen.“Das treffe sowohl in Gersthofen als auch in der Türkei zu. Dort war er heuer bereits zweimal und berichtet: „Die Angst vor Ort ist groß, weil niemand weiß, wie es in der Zukunft weitergeht.“Auslöser für die verschärft­e Lage in vor Ort war der Putschvers­uch vor fast genau einem Jahr. Mittlerwei­le ist auch das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschlan­d auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Erst diese Woche verschärft­e das Auswärtige Amt die Reisehinwe­ise für die Türkei, woraufhin der türkische Präsident Deutschlan­d Drohgebärd­en vorwarf. Im Landkreis Augsburg ist die Stimmung bei den Deutschtür­ken weiterhin gespalten.

Für „eine Verbesseru­ng der Lage“spricht sich deshalb Aykan Inan aus. Inan ist Ditib-Landesbeau­ftragter für Südbayern. Die Türkisch-Islamische Union für religiöse Angelegenh­eiten ist als Trägervere­in für die Eyüp-Sultan-Moschee in Gersthofen zuständig und untersteht der türkischen Regierung. Der Verband steht im Verdacht, Erdog˘ an-Gegner zu bespitzeln, die Bundesanwa­ltschaft ermittelt.

Landesbeau­ftragter Inan sagt: „Wir wollen, dass die Freundscha­ft zwischen den beiden Ländern wiederherg­estellt wird.“Er spricht davon, dass „das jahrelange Vertrauen“seit dem Putschvers­uch zerstört sei. Ihn verwundert es nicht, dass viele Türken nicht über das Verhältnis sprechen wollen: „Egal, wie man sich äußert, liegt man für irgendjema­nden falsch.“

Dass sich die Anspannung auch hier entlädt, hat der Augsburger Verein Frohsinn, der der Gülen-Bewegung nahesteht, zu spüren bekommen. In der Putschnach­t wurden am Vereinsgeb­äude Scheiben eingeworfe­n. Die Drohanrufe, die Geschäftsf­ührer Mustafa Güngör galten, hätten aber nachgelass­en. Die Täter wurden zu Geldstrafe­n verurteilt. Die Hand für einen Dialog strecke der Verein weiterhin aus, denn die Entwicklun­gen seien ein „Weckruf an die Türkei“, sagt Güngör. »Kommentar

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Archivfoto: Marcus Merk Der Glaube im Vordergrun­d: Politische Diskussion­en gibt es in der Moschee in Gersthofen nicht.
 ?? Archivfoto: Andreas Lode ?? Özcan Celep war heuer bereits in der Türkei und berichtet von einer angespannt­en Situation.
Archivfoto: Andreas Lode Özcan Celep war heuer bereits in der Türkei und berichtet von einer angespannt­en Situation.

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