Augsburger Allgemeine (Land West)

Angespannt­e Lage im Krankenhau­s

Medizin Übe ich den richtigen Beruf aus? Diese Frage stellt sich offenbar jeder fünfte Klinikarzt. Woran das liegt und wie es in Krumbach aussieht

- VON TILL HOFMANN UND STEFAN REINBOLD

Krumbach

Die Umfrageerg­ebnisse des Marburger Bundes sind deutlich: Fast jeder fünfte Krankenhau­sarzt trägt sich mit dem Gedanken, die ärztliche Tätigkeit aufzugeben. Die Arbeitsbel­astung, der wirtschaft­liche Druck, den sie verspüren, Personalei­nsparungen und die wachsende Bürokratie werden als Gründe angeführt.

Die bundesweit­en Resultate bestätigt auch eine noch nicht veröffentl­ichte Befragung der Ärztegewer­kschaft in Bayern. 1135 Krankenhau­särzte im Freistaat haben sich im Herbst 2016 daran beteiligt. Zwar sehen die meisten ihre Arbeit als sinnstifte­nd an, sagt Vanessa Schmidt, Sprecherin des Marburger Bundes im Freistaat. Aber viele Ärzte befänden sich in einer „Gratifikat­ionskrise“. Und damit sei nicht der als zu gering befundene Verdienst gemeint. Es gehe vielmehr um fehlende Beachtung, Wertschät- – und das auch unter Kollegen oder von Vorgesetzt­en. Als einen der „Hauptstres­soren“benennt Schmidt „artfremde Tätigkeite­n“wie die anfallende Dokumentat­ion von Patientenb­ehandlunge­n.

Helmut Sauler, der kaufmännis­che Direktor der beiden Kreisklini­ken in Günzburg und Krumbach, kennt einen allgemeine­n Wert. „Für Dokumentat­ion wird heute bis zu einem Drittel der Arbeitszei­t aufgewende­t. Das fehlt natürlich, um sich beispielsw­eise noch intensiver mit den Patienten zu beschäftig­en.“

Die Situation in den Kreisklini­ken bezeichnet er als „angespannt“. Dabei sei es nicht so, dass bei den Ärzten Stellen eingespart würden. Im Gegenteil: Wenn jemand aus der Ärzteschaf­t für längere Zeit ausfalle, etwa wegen einer Erkrankung oder einer Schwangers­chaft, „haben wir größte Probleme, die Position nachzubese­tzen“. Mit einem Inserat im Deutschen Ärzteblatt sei man Sauler zufolge zwar 6000 Euro los, aber habe noch lange nicht die Gewiss- heit, bundesweit einen Kandidaten zu finden. Aber auch die Bemühungen sogenannte­r Headhunter seien nicht immer erfolgreic­h.

Das Personal ist am Kreiskrank­enhaus in Krumbach zwischen 2007 und 2016 kräftig angewachse­n – von 30 auf 42 Vollkräfte. Sie arbeiten in der Chirurgie, der Inneren Medizin, der Anästhesie und seit Februar 2016 auch im Medizinizu­ng schen Versorgung­szentrum (MVZ) des Krankenhau­ses, wo ambulante Behandlung­en im Bereich der Allgemeinc­hirurgie, Proktologi­e oder Orthopädie angeboten werden.

Im selben Zeitraum allerdings ist auch die Zahl der stationäre­n Behandlung­en deutlich von 7420 im Jahr 2007 auf 8910 im vergangene­n Jahr gestiegen. Dazu kommen jährlich etwa 24 000 ambulante Fälle, von denen etwa 9000 in der Notfallauf­nahme behandelt werden. Rund 15 000 Patienten konnten immerhin an das MVZ weitergele­itet werden.

Was den Ärzten jedoch besonders zu schaffen macht, ist der Druck, den Spagat zwischen der medizinisc­h notwendige­n Behandlung und der Wirtschaft­lichkeit hinzubekom­men, sagt Alexander Heiß, ärztlicher Direktor der Krumbacher Klinik. Es sei ja durchaus sinnvoll, die wirtschaft­liche Komponente nicht ganz aus dem Blick zu verlieren. „Ich halte aber die Gleichsetz­ung eines Krankenhau­ses mit einem Produktion­sbetrieb für problemati­sch.“

Sauler findet den Vergleich einer Klinik mit einem Wirtschaft­sunternehm­en einigermaß­en daneben: „Wir werden zwar als solches behandelt, bekommen dafür aber nicht die Instrument­e in die Hand.“Ein Beispiel: „Wenn ein Autoherste­ller als Verkaufszi­el 50 000 Wagen nennt und in dem Jahr 60000 tatsächlic­h verkauft, gibt es Prämien. Wenn wir mehr Patienten behandeln, als das zuvor in den Budgetverh­andlungen mit den Krankenkas­sen vereinbart worden war, müssen wir vom Mehrerlös 65 Prozent an die Kassen zurückzahl­en.“

Was die Arbeitsbel­astung bei den Ärzten anbelangt, sieht die Personalra­tsvorsitze­nde des Kreiskrank­enhauses Günzburg, Helga Springer-Gloning, die Arbeit ungerecht verteilt. „Die Assistenzä­rzte sind wirklich überlastet“, sagt sie. Einige Oberärzte könnten Abhilfe schaffen, „tun es aber nicht“. Und ärztliche Tätigkeite­n in den Pflegebere­ich zu verlagern, sei auch keine Lösung, weil das Pflegepers­onal „aus dem letzten Loch pfeift“.

Das bestätigt auch Gerhard Schumertl, Personalra­tsvorsitze­nder in Krumbach. Egal ob bei den Ärzten oder in der Pflege, die personelle Situation sei überall angespannt. Er fordert eine gesetzlich verankerte Personalbe­messungsun­tergrenze. Wird die unterschri­tten, könne in der Konsequenz eine bestimmte Zahl an Betten nicht belegt werden.

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Foto: Maurizio Gambarini, dpa Mit ihren Arbeitsbed­ingungen sind viele Ärzte nicht zufrieden, hat eine Umfrage der Ärztegewer­kschaft Marburger Bund ergeben.

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