Augsburger Allgemeine (Land West)
Die CSU demonstriert ihre Eigenständigkeit
Leitartikel Im Bayernplan steht, was die Kanzlerin strikt ablehnt: eine Obergrenze für die Zuwanderung. Man braucht einander in der Union, also wird der Streit vertagt
CDU und CSU sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Zwar setzt jede der beiden Parteien ihre eigenen Akzente und ringt seit eh und je um die Meinungsführerschaft im Lager der Mitte und rechts davon. Wahlen jedoch kann die CDU/ CSU nur gewinnen, wenn sie geschlossen antritt. Ihre Anhänger mögen keinen internen Streit.
Die CDU braucht die Stimmen der CSU in Bayern und weiß genau, dass viele nur CDU wählen, weil es da ja noch die konservativere CSU gibt. Die Stärke der CSU in Bayern hängt auch von ihrem bundespolitischen Einfluss und der Führungsautorität der gemeinsamen Nummer eins in Berlin ab. Also sind Angela Merkel und Horst Seehofer übereingekommen, den von der CSU auf die Spitze getriebenen Streit um die Flüchtlingspolitik („Herrschaft des Unrechts“) im Wahljahr zu beenden und zumindest so zu tun, als sei man nun wieder ein Herz und eine Seele.
Bisher geht die Rechnung auf. Die CDU/CSU liegt wieder im Bereich der 40-Prozent-Marke, die eine Regierungsbildung gegen die Union ausschließt. Dass sich rechts von der Union erstmals eine demokratisch legitimierte Partei etablieren konnte, ist ein schwerer Schlag für die Volksparteien. Doch es scheint gelungen zu sein, den Aufstieg der AfD zu stoppen und einen Teil jener Stammkundschaft zurückzuholen, der aus Frust über Merkels anfängliche Politik der offenen Grenzen und die massive illegale Zuwanderung davongelaufen war. Der Sinkflug der mit teils ausländerfeindlichen Abschottungsparolen operierenden AfD hat in erster Linie mit der stark rückläufigen Zahl von Migranten und jener Kursänderung Merkels zu tun, die auf Druck der CSU zustande kam. Seehofer hat zwischendurch den Bogen mit seinen Attacken auf die eigene Kanzlerin überspannt, weshalb die plötzliche Kuschelei ziemlich inszeniert wirkt. Doch der Wiederaufschwung der Union ist zweifellos vor allem der restriktiveren Einwanderungspolitik der CSU und deren Profil als Partei der inneren Sicherheit geschuldet.
Der nicht beigelegte Streit um die von der CSU geforderte „Obergrenze“von 200 000 Migranten pro Jahr trübt natürlich das schöne Bild der Harmonie, die Merkel und Seehofer auszustrahlen versuchen. Die SPD hat ja recht: Die Unionsführung kleistert den Konflikt zu, hat in einer zentralen Frage keine gemeinsame Linie. Bezeichnenderweise ist Seehofer von seinem Junktim, ohne eine Obergrenze keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, längst abgerückt. Wegen der „Obergrenze“riskiert die CSU keinen Bruch. Seehofer braucht jedoch für den Fall, dass eine (wiedergewählte) Kanzlerin bei ihrem Nein bleibt, einen Kompromiss, den er bei der Landtagswahl 2018 als Erfolg verkaufen kann. Aus der – verfassungsrechtlich problematischen – Obergrenze würde dann eine Art „Orientierungsgröße“dafür, wie viele Zuwanderer jährlich verkraftbar sind.
In den Bayernplan hat die CSU wie schon 2013 die paar Punkte hineingeschrieben, die sie im gemeinsamen Wahlprogramm nicht unterbringen konnte. Die Obergrenze markiert den bei weitem brenzligsten Dissens. Dass Martin Schulz den Finger in diese Wunde legt, ist verständlich. Aber warum sollte die CSU nicht demonstrieren, dass sie als eigenständige, speziell bayerischen Interessen verpflichtete Partei eine konservativere Linie als die nach links gerückte CDU verficht und nach Mitteln sucht, die Zuwanderung verlässlich und dauerhaft zu begrenzen? Ein Urteil über diese hinlänglich bekannte „Arbeitsteilung“obliegt dem Wähler. Er wird 2018 bei der Landtagswahl auch einzuschätzen wissen, wie es um die Durchsetzungskraft der CSU und deren „Garantien“bestellt ist.
Kurskorrektur Merkels auf Druck Seehofers