Augsburger Allgemeine (Land West)

Der mit den Pferden tanzt

Porträt Mario Luraschi ist einer der besten Pferdetrai­ner der Welt. Beim Kaltenberg­er Ritterturn­ier bringt er Saida in einem spektakulä­ren Stunt dazu, lässig durch Funkenrege­n zu galoppiere­n. Weil der sanfte Franzose das Vertrauen der Tiere gewinnt, die s

- VON STEFANIE SAYLE

Würde Saida seinem Instinkt folgen, liefe er jetzt um sein Leben. Ringsum zerreißen gespenstis­ch flackernde Fackeln die Dunkelheit. Grölende Barbaren dreschen mit Schwertern und Beilen aufeinande­r ein. Körper sacken rechts und links von Saida leblos zusammen. Planlos davonrenne­nde Frauen und Kinder kreuzen kreischend seinen Weg. Und um die grausame Kampfstätt­e herum johlt eine Horde aus mehreren tausend Vergnügung­swütigen.

Eigentlich müsste Saida in diesem Inferno reflexarti­g seine massigen Muskeln anspannen und davonstürm­en, beherrscht von nur einem Instinkt: Flucht! Doch der Hengst galoppiert kontrollie­rt unter seinem Reiter Yann Vaille durch die Kaltenberg­er Arena. Ihn irritiert nicht einmal, dass der Franzose im Sattel rings um Pferd und Reiter mit leuchtende­n Fackeln einen meterhohen, glühenden Funkenrege­n entfacht – eine Hölle des Schreckens für jedes gewöhnlich­e Pferd.

„Ja, ich überlege mir für jedes Jahr eine neue Attraktion“. Mario Luraschi spricht mit unaufgereg­ter, nicht lauter, aber gut verständli­cher Stimme. Sein Akzent ist im nahezu fließenden Englisch nicht zu überhören, manchmal streut er französisc­he Fachausdrü­cke ein. Auf die neue Nummer mit dem Funkenrege­n ist er unverkennb­ar stolz. Im 13. Jahr tritt der Franzose mit seinen Pferden und seiner reitenden Stunttrupp­e bei den Kaltenberg­er Ritterspie­len auf, eines von etlichen Engagement­s für den kleinen Mann mit dem großen Pferdevers­tand.

In 510 Filmen haben Luraschis nervenstar­ke Tiere mitgewirkt. Er hat sie in „D’Artagnans Tochter“(1994) in einem voll besetzten Salon auf Tischen tanzen und in „Bandidas“(2006) in acht Metern Höhe über schmale Balken balanciere­n lassen. Sie sind durch geschlosse­ne Fenstersch­eiben gebrochen und durch lodernde Flammen galoppiert. Sie sind in Schlachten gestürzt und haben sich tot gestellt. Im ersten Weltkriegs­film „Les cavaliers de (1984) jagt Luraschi auf dem Schimmel Chepa über einen Ufersteg und springt in ein mit Soldaten besetztes Holzboot. Für die Fernsehser­ie „Napoleon“(2002) hat er mit 250 Pferden Kriegsgetü­mmel geübt. Und er war einer der Ersten, der die Tiere nicht mit Stricken und Stolperfal­len gewaltsam zu Boden riss, sondern bei diesen gefährlich­en Massenszen­en auf Dressur und geduldiges Training setzte.

Training. Training. Training. Damit beschäftig­t Luraschi gerade den elfjährige­n Quiroté in der Kaltenberg­er Reithalle. Die Pferde lehrten den Menschen Geduld, stellt er fest und dirigiert den Hengst vom Boden aus mit kaum wahrnehmba­rem Wippen einer Gerte – fast wortlos, aber hoch konzentrie­rt. Der Schimmel tänzelt um seinen Meister, schnaubt, stellt sich auf die Hinterhand. Schließlic­h sitzt er wie Nachbars Lumpi im Sand und winkt mit dem Vorderhuf.

„Am wichtigste­n ist es, aus den Pferden den Stress rauszukrie­gen, dann kann man mit ihnen arbeiten“, weiß der Mann, der im Dezember 70 wird, aus jahrzehnte­langer Erfahrung und tätschelt den Hals des entspannt dahockende­n Quiroté. Unverzicht­bar seien Geduld und Sensibilit­ät: „Bei jedem Pferd muss man versuchen, seine Mentalität zu verstehen.“Luraschi vertritt die Philosophi­e des langen Zügels. Die Pferde sollen konsequent, aber vertrauens­voll geführt werden.

Zum Reitsport kam der italienisc­hstämmige Franzose über sein Interesse für Indianer und deren Lebensweis­e. Allerdings erst, nachdem er seine Karriere als Kunstturne­r und Pariser Stadtmeist­er beendet hatte. Die dabei antrainier­te Körperspan­nung, die aufrechte Haltung und das ausgeprägt­e Gleichgewi­chtsgefühl zeichnen Luraschi noch heute im Sattel aus. Seine Ausbildung in den Dressurlek­tionen der Hohen Schule absolviert­e er in Stierkampf­arenen und den Andalusier­gestüten Spaniens. Er liebt die barocken iberischen Pferde, ihren Ausdruck, ihre erhabenen, mitunter schwebende­n Bewegungen.

Quiroté ist zurück in seine Box geschritte­n. Jetzt haben Yann Vaille, der Reiter mit dem Funkenrege­n, und Saida die Trainingsh­alle für sich: Ohne Sattel und Zaumzeug demonstrie­rt der junge Franzose auf dem blanken Pferderück­en Lektionen der hohen Dressurkun­st. „Ist das nicht wunderschö­n?“, schwärmt Luraschi zufrieden mit seinen beiden Mitarbeite­rn. Jährlich bekommt der Altmeister 800 Anfragen von jungen Menschen, die für ihn arbeiten und von ihm lernen wollen.

Luraschi nimmt nur die Besten für seine Stunttrupp­e Cavalcade, deren Name sich aus den französisc­hen Begriffen für Reiter, Cavalier, und für Stuntman, Cascadeur, zusammense­tzt. Der Chef überzeugt sich selbst von den Qualitäten der jungen Männer und zunehmend auch Frauen, die bei ihm auflaufen. Viele davon wohl mit falschen Vorstellun­gen, denn das Leben als Berufsreit­er und Mitglied einer Stuntgrupp­e besteht nicht nur darin, Huldigunge­n des Publikums entgegenzu­nehmen.

Wer wüsste das besser als Frédél’orage“ ric Laforêt, der wahre König von Kaltenberg – diese Feststellu­ng sei verbunden mit der untertänig­sten Bitte um Verzeihung an Prinz Luitpold von Bayern, den Hausherren auf Kaltenberg. „Den Schwarzen Ritter zu spielen, das ist eine Extremspor­tart“, hat der Stuntman, Schauspiel­er und Musiker Laforêt vor fünf Jahren in einem Interview gesagt. Und bezweifelt, dass sein Körper den außergewöh­nlichen Belastunge­n noch lange gewachsen sein könnte. Jetzt ist der Bösewicht der Ritterspie­le 51. Immer noch jagt er auf einem feurigen Rappen im Galopp zwischen den Zuschauerr­ängen hindurch, kämpft mit Lanze und Schwert, stürzt routiniert aus dem Sattel – und genießt die Sympathien des Publikums. Ein aufregende­r Beruf, der Körperbehe­rrschung, Disziplin, eisernen Trainingsw­illen und die Bereitscha­ft, Schmerzen zu ertragen, voraussetz­t.

Einer, der dies gerade lernt, ist der 17-jährige Marco. Das drahtige Fliegengew­icht spielt den Helden des Ritterturn­iers, Sigfried, in seiner jugendlich­en Phase und tritt zudem in der abenteuerl­ichen Einlage auf, wenn sich die Stuntleute als Akrobaten präsentier­en: Wenn sie auf im gestreckte­n Galopp dahinjagen­den Pferden in einem Steigbügel auf der Seite hängen, auf dem Pferd stehen, auf- und abspringen. Marco hat als Jugendfußb­aller bei Paris St. Germain gespielt, jetzt hat er beschlosse­n in die Fußstapfen seines Vaters zu treten: Mario Luraschi.

Vater Luraschi sucht sich jedes Frühjahr drei bis fünf junge Pferde in Spanien oder Portugal aus. „Sie dürfen ruhig ein bisschen aggressiv sein“, beschreibt er die Auswahlkri­terien. Und Selbstvert­rauen sollen sie haben. Die jungen Hengste, die noch kaum Erfahrunge­n mit Menschen und schon gar nicht mit Reitern haben, lässt er auf seine Reitanlage bei Paris liefern, auf der rund 60 Pferde leben.

Andernorts würden sich die Dreijährig­en nun erst einmal wochenlang eingewöhne­n. Mario Luraschi steht am Ankunftsta­g mit Sattel und Zaumzeug bei ihnen in der Box. Mit dem Reiten lässt er sich noch Zeit – bis zum zweiten Tag. Manchmal sind die unerfahren­en Pferde so überrumpel­t, dass sie ohne Gegenwehr mitarbeite­n. Manchmal. Wie oft er schon vom Pferd gefallen ist? Luraschi winkt ab und lacht. In Erinnerung sind ihm vor allem die Überschläg­e mit steigenden Pferden. In seinem Job brauche er eben Geduld und gute Nerven, versichert der Mann, der von sich sagt, er sei zu Pferden freundlich­er als zu Frauen.

Nach drei Monaten Basistrain­ing weiß Luraschi von jedem Pferd, ob es fürs Filmgeschä­ft, seine Shows in Kaltenberg, im Europapark Rust oder im Pariser Disneyland zu gebrauchen ist. Ob es die Nervenstär­ke für rasante Kampfszene­n, lärmendes Publikum, ein Leben auf Reisen und häufige Ortswechse­l mitbringt. Bis sie sechs sind, erarbeitet Luraschi mit den jungen Tieren die schwierige­n Lektionen der hohen Dressursch­ule. „Das ist einfach“, befindet er lapidar.

Dann beginnt die Ausbildung zum Stuntpferd. Aus dem Sattel und vom Boden lehrt Luraschi die Tiere erst, sich hinzulegen, dann hinzufalle­n. Er konfrontie­rt sie mit kleinen Flammen, dann mit größeren Feuern und legt ihnen schließlic­h brennende Decken auf den (isolierten) Rücken. Er dirigiert seine Tiere souverän mit seiner Körperspra­che, seiner Stimme und einer Gerte. Davon profitiere­n auch Stars der internatio­nalen Filmszene. So vollbringt mancher Schauspiel­er im Sattel Glanzleist­ungen, zu denen er gar nicht fähig ist. „Die sitzen manchmal nur drauf und machen gar nichts, während ich das Pferd von unten anleite“, erheitert sich der verschmitz­te Franzose.

Die wahren Helden sind für den Trainer ohnehin seine Pferde – ungeachtet der Tatsache, dass er mit Stars wie Roger Moore, Matt Damon, Monika Belluci, Sophie Marceau und Penelopé Cruz zusammenge­arbeitet hat. Ein Darsteller ist ihm allerdings besonders in bleibender Erinnerung: Terence Hill aus „Lucky Luke“(1991 und 2009). Der Italo-Amerikaner sei ein SuperTyp, berichtet Luraschi – und verzichtet darauf, sich damit zu brüsten, dass Jolly Jumper, Luckys legendäres Pferd, bei den Dreharbeit­en in einen Fluss stürzen und abtauchen musste: ein tödlicher Albtraum für jedes untrainier­te Durchschni­ttsross.

Quiroté, der mit dem Vorderhuf winkende Schimmel, hatte zunächst auch nicht allzu viel Talent und Nervenstär­ke erkennen lassen. Fast für einen Schlachtpr­eis habe er ihn gekauft, erzählt der Pferdetrai­ner. Jetzt reitet er den stattliche­n Hengst in seiner Rolle des Marschalls im Kaltenberg­er Programm. Er lässt ihn vor tausenden Zuschauern steigen, im raumgreife­nden Spanischen Schritt stolzieren, tanzen und schweben. Hoheitsvol­l thront der Altmeister dabei im Sattel. Und ist überzeugt davon, dass auch seine Pferde dieses aufregende Leben genießen. Im Falle einer Wiedergebu­rt, das steht für Luraschi fest, würde er gerne Stuntpferd werden: „Dann muss ich nicht so viel arbeiten wie ein Sportturni­erpferd und mache spektakulä­re Dinge.“

Luraschis Pferde haben in 510 Filmen mitgewirkt Für die Hollywood Stars lenkt Luraschi die Tiere

 ?? Fotos: Thorsten Jordan ?? Ein Albtraum für jedes Durchschni­ttspferd: Saida galoppiert unter Stuntman Yann Vaille im Funkenrege­n durchs Kaltenberg­er Schlachtge­tümmel. Den Körper des siebenjähr­igen Pferdes schützt eine feuerfeste Decke.
Fotos: Thorsten Jordan Ein Albtraum für jedes Durchschni­ttspferd: Saida galoppiert unter Stuntman Yann Vaille im Funkenrege­n durchs Kaltenberg­er Schlachtge­tümmel. Den Körper des siebenjähr­igen Pferdes schützt eine feuerfeste Decke.
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Foto: say Im Training: Mario Luraschi wippt mit der Gerte – und Quiroté winkt.
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In der Show: Altmeister Luraschi thront majestätis­ch auf Quirotés Rücken.

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