Augsburger Allgemeine (Land West)

Türkische Innenpolit­ik ist in Deutschlan­d fehl am Platz

Debatte Die Bundesregi­erung hat Ankara zu lange zu viel Einmischun­g erlaubt. Das rächt sich nun massiv

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Während sich die Bundeskanz­lerin von Erdogan auf der Nase herumtanze­n lässt, redet die unerschroc­kene SPD endlich Klartext mit dem unverschäm­ten Sultan. Mit dieser Heldengesc­hichte versuchen die Sozialdemo­kraten, Schwung in ihren lahmenden Wahlkampf zu bringen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel, der in Umfragen abgeschlag­ene Kanzlerkan­didat Martin Schulz und der bislang blasse Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier geben die drei roten Musketiere, die es mit dem Schurken vom Bosporus aufnehmen. Und klopfen sich gegenseiti­g auf die Schulter für ihren Mut.

Verschärft­e Reisehinwe­ise, Überprüfun­g von Finanzhilf­en – es ist richtig, mit den Mitteln der Außenpolit­ik auf die Provokatio- aus Ankara zu reagieren. Doch das allein greift zu kurz. Weil in Deutschlan­d rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, ist Türkei-Politik stets auch Innenpolit­ik. Und innenpolit­isch kann Deutschlan­d angesichts des Türkei-Schlamasse­ls ebenso wenig einfach weitermach­en wie bisher.

Von Anfang an wies die Bundesrepu­blik von sich, ein Einwanderu­ngsland zu sein. Sie tat so, als würden die in der Türkei angeworben­en „Gastarbeit­er“, die das Wirtschaft­swunder mit ermöglicht­en, nach ein paar Jahren wieder gehen. Und ließ deshalb gerne zu, dass diese bis heute von aus Ankara entsandten Imamen religiös geleitet, von heimischen Medien informiert und leider auch vom türkischen Geheimdien­st fast lückenlos überwacht werden. Bei all dieser Einflussna­hme geht es um Macht – die Deutschtür­ken können mit ihren Stimmen Wahlen in der Heimat entscheide­n. Präsident Erdogan spielt sich als Beschützer der Türken in Deutschlan­d auf, die seiner Meinung nach nicht den Respekt bekommen, den sie sich wünschen. Mit deren Unterstütz­ung konnte er in einem Referendum seine Machtfülle auf ein autokratis­ches Maß aufblähen.

Dabei hat Deutschlan­d sogar eine Doppelpass-Regelung eingeführt, die Deutschtür­ken alle Vorteile der deutschen Staatsbürg­erschaft einräumt und trotzdem zulässt, dass sie in der Türkei wählen können. Auch Wahlkampfa­uftritte prominente­r türkischer Politiker vor zehntausen­den Deutschtür­ken wurden in der Vergangenh­eit geduldet, obwohl dabei mitunter jede Integratio­n in die deutsche Gesellscha­ft verdammt wurde. Keiner hatte etwas dagegen, weil die Türkei ja als eng befreundet­er Staat galt, als wichtiger NatoPartne­r, Brücke nach Asien, aufnen strebende Wirtschaft­smacht, künftiges EU-Mitglied und eines der wenigen Beispiele für die Vereinbark­eit von Islam und Demokratie. Und zuletzt konnte Erdogan Deutschlan­d mit der Drohung, das Flüchtling­sabkommen aufzukündi­gen, ungeniert auf der Nase herumtanze­n.

Richtig war es noch nie, der Türkei dieses unglaublic­he Maß an Einmischun­g zuzugesteh­en. Doch seit die Türkei unter Erdogan in Richtung Diktatur schlittert, zeigt sich dramatisch, wie gefährlich diese Politik war und ist. Jetzt spitzeln, predigen und werben all die türkischen Gewährsleu­te plötzlich für einen Despoten. Viele in Deutschlan­d lebende Türken fühlen sich eingeschüc­htert und verfolgt von türkischen Spionen und Islamverbä­nden.

Deutschlan­d muss diese Menschen schützen, darf dabei aber keine türkischen Konflikte importiere­n und sich nicht der Illusion hingeben, dass alle Erdogan-Gegner automatisc­h lupenreine Demokraten sind. Gegenüber der undurchsic­htigen Gülen-Sekte oder bestimmten Kurdenorga­nisationen etwa ist höchste Vorsicht geboten. Die Verhältnis­se in der Türkei sind so explosiv und komplizier­t, dass künftig eine ganz einfache Devise gelten muss: Türkische Innenpolit­ik hat in Deutschlan­d nichts verloren.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Die Türkei mischt sich stark in Deutsch land ein.

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