Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Beginn einer unvergesslichen Lebensphase
Woisch no So mancher war ein leidenschaftlicher „Schwofer“, andere tanzten in berühmt-berüchtigten Augsburger Diskos lieber nur die schnellen Runden. Wer die wahren „Apfel-Typen“waren
Diskothek“– das war Mitte der 60er Jahre ein Zauberwort wie „Rock’n’Roll“in den 50er Jahren. Für uns, die wir damals zwischen 16 und 20 Jahre alt waren, begann an den Wochenenden nun eine Gegenwelt zum schnöden Alltag. Zur Erinnerung: Es gab damals noch wenig junge Menschen, die über eine große Schallplattensammlung verfügten. Und im Radio gab es „Beat-Music“nur an wenigen, ausgesuchten Tagen.
Unsere Clique saß am Sonntagnachmittag zusammen und wir legten unsere fünf Singles auf den Zehn-Platten-Wechsler in der Musiktruhe. Mit 16 kaufte ich mir den ersten Plattenspieler, zum Leidwesen meiner Eltern. Und die erste Langspielplatte war „That’s Soul“mit Soulgrößen wie Eddie Floyd, Sam & Dave und Otis Redding. Und im Jahr 1966, wenn mich die Erinnerung nicht trügt, war es so weit: Die Diskothek „Big Apple“an der Gögginger Straße öffnete ihre Pforten. Der Beginn einer unvergesslichen Lebensphase.
Am Samstagnachmittag begann das große „Sich-schick-machen“für den „Apfel“, wie die Diskothek von Insidern genannt wurde. Haare waschen (damals hatte ich noch welche, es gibt Fotos!), Duftwässerchen auftragen (vorzugsweise „Pino Silvestre“) und die ApfelKlamotten anziehen. Die passende Kleidung kaufte man entweder in der Boutique Spriewald in der Kohlergasse oder man fuhr zu „Anas“nach München. Ach ja, bei „Karos“in der Annastraße gab es ganz schicke Sachen.
Dann marschierten wir nach Kriegshaber und fuhren mit der Straßenbahn zur Haltestelle an der Gögginger Brücke. An der Kasse gab es für vier Mark vier Bons, für die gab es entweder vier Mal Cola, zwei Mal Bier oder ein Mal Whiskey und den legendären „Big Apple“-Stempel aufs Handgelenk. Dann ging es rein in die Dunkelheit, in der Mitte die beleuchtete Tanzfläche, und die Zeit, wo man(n) einfach so ohne Tanzpartnerin in die Arena stieg, um sich durchzuschütteln, war noch nicht gekommen. Die Mädels wollten immer noch aufgefordert werden.
Nach dem vierten Korb gab ich meistens auf, während mein Freund Hans (vor zwei Jahren gestorben) auch nach dem 15. Korb den Mut nicht sinken ließ. Sein Motto war: „Du kannst 20 Körbe bekommen, aber die 21. tanzt mit dir!“Sechs „Schnelle“und dann drei „Langsame“– immer dasselbe Muster des DJs. Ich stieg – wenn ich denn eine Tanzpartnerin gefunden hatte – meist bei der langsamen Runde aus, weil ich Angst hatte, dem Mädchen auf die Füße zu treten. Mein Kamerad Hans dagegen war immer ganz scharf auf die langsamen Runden, er war ein leidenschaftlicher „Schwofer“.
Wir Steppacher hatten gegen Mitternacht immer den Gewis- entweder die letzte Straßenbahn nach Kriegshaber zu nehmen, oder bis zum süßen Ende um 1 Uhr da zu bleiben, um dann aber den ganzen Weg bis nach Steppach zu Fuß antreten zu müssen. In diesen Jahren wurde die „Welt“von uns in zwei Gruppen eingeteilt: Es gab „normale“Leute und „Apfel“-Typen. Letztere natürlich die Krone der Schöpfung. Nach und nach erreichten die Drogen dann auch den „Big Apple“und 1972 kam das traurige Ende dieser Disko, die sogar viele junge Leute aus München anzog.
Natürlich war der „Big Apple“nicht die einzige Disko im Großraum Augsburg. Ganz in der Nähe des „Big Apple“befand sich die „Rumpelkammer“und auch „Waldi’s Club“. (Ja, so hat unser Freund Waldemar Hartmann angefangen.) Und in Pfersee das „Go Go“unter Leitung der Gebrüder Meisinger. Auch in Pfersee das „Playboy“, das hauptsächlich von US-Soldaten besucht wurde. Und in Oberhausen – wahrscheinlich noch vor dem „Apfel“– die „Tenne“unter Charly Held.
Auch im Umland schossen Dissenskonflikt, kos wie Pilze aus dem Boden. Das „Maschiba“in Batzenhofen, das „Ol’ Man“in Dinkelscherben und die „Casinos“in Hammel und Horgau. Und etwa 1973 ließ dann in Augsburg (jaja, ich weiß, „Golden Girl“und „Ulrichskeller“gab’s auch noch) die Attraktivität der Diskos plötzlich nach.
Es begann die Zeit der Kneipen. Viele „Apfel-Typen“traf man dann im „Giorgio“an der Georgenstraße oder im „Meadows“im Jakobsviertel. Es dauerte dann fast zehn Jahre, bis die Renaissance der Diskos begann. Zuerst das „Neondatschi“am Ulrichsplatz und dann das „Jerome“in der PhilippineWelser-Straße. Und statt James Brown hörte man da jetzt „RoxyMusic“und „Neue Deutsche Welle“. Schön war die Zeit! O
Der Autor Silvano Tuiach ist Jahrgang 1950. Er wuchs in Augsburg und Step pach auf, heute lebt er in Neusäß. Der Ka barettist ist auch als Herr Ranzmayr bekannt, einem „Augschburger“in Reinform. Auch bei Hitradio rt.1 ist Tuiach alias Ranz mayr regelmäßig zu hören.