Augsburger Allgemeine (Land West)
Charismatische Stimmen für Oskar Maria Graf
Monika Manz und Susanne Weinhöppel lassen im Ballonmuseum eine verschwundene Welt aufleben
Zwei charismatische Charakterstimmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und im Zusammenspiel dennoch eine harmonische Einheit voller Emotionen zu transportieren wussten – dies war bei einer musikalischen Lesung im Gersthofer Ballonmuseum zu erleben.
Die Münchner Vollblutschauspielerin Monika Manz hatte die schönsten Textpassagen aus Oskar Maria Grafs autobiografischem Roman „Das Leben meiner Mutter“ausgesucht und diese nachdenklichen wie auch humorvollen Anekdoten mit viel Gefühl dem Publikum dargeboten. Begleitet wurde die Erzählerin von den lyrischen Gesangskünsten und sphärischen Harfenläufen der Musikerin Susanne Weinhöppel, welche die einzelnen Episoden mit Klangfarben untermalte, musikalisch die Handlung vorantrieb und diese durch extrovertierte Kompositionen oftmals auch in eine neue Richtung lenkte.
Ursprünglich sollte diese Literaturcollage auf der sonnigen Dachterrasse des Ballonmuseums stattfinden, doch wurde die Veranstaltung kurzerhand in den Innensaal verlegt, da es für die empfindliche Harfe draußen schlichtweg zu heiß geworden war.
Für das allgemeine Flair der Lesung war diese Verlegung nicht unbedingt ein Wermutstropfen: Die erfrischende Kühle des Gebäudes, die umgebende Bildersammlung des Künstlers Felix Weinold und nicht zuletzt der über den Köpfen schwebende Freiballon im Stile des 19. Jahrhunderts schufen unfreiwillig die passende Atmosphäre für die vergangene Welt des Schriftstellers Oskar Maria Graf – in dessen Zeit Nostalgie und Moderne in verwir- rend rascher Weise aufeinandertrafen. „Das Leben meiner Mutter“handelt im Wesentlichen von Grafs Familie und der Darstellung des dörflichen Lebens um die Jahrhundertwende und gilt heute als absoluter Klassiker.
Eine Lesung kann einfach nur eine Lesung sein, doch Schauspielerin Monika Manz sorgte mit ihren Tausend Gesichtern letztendlich dafür, dass die Charaktere aus Grafs Bestseller tatsächlich zu neuem Leben zu erwachen schienen: Mit einer wüsten Brummbärstimme vermochte sie mühelos grantige Voll- in Szene zu setzen, mit staubtrockenem Genäsel die Gleichgültigkeit einer phlegmatischen Hebamme zu imitieren. Keine Tonlage war ihr zu maskulin, keine verbale Frivolität zu feministisch.
Ihre ganz bewusste Konzentration auf die Texte und die ständig wechselnde Gesichtsakrobatik lieferten schließlich ein authentisches Zeitbild aus jener Epoche der politischen und persönlichen Umbrüche, die auch vor schwäbischen Schmalznudeln, katholischen Dickköpfen und der alltäglichen Armut nicht haltmachte.
Die filigrane Harfenkunst von Susanne Weinhöppel schließlich stellte dabei nicht nur eine musikalische Ergänzung der vorgetragenen Lebenszeugnisse dar, sondern brachte sich als eigene Erzählform in die autobiografische Geschichtensammlung mit ein: Beim Tode von Grafs Mutter ließ sie die unruhige Weise „Die Sterbende“erklingen, zum Handlungswechsel sorgte Wolfgang Amadeus Mozart mit verspielten Fantasien für das passende Ambiente, das zum Nachdenken und Ordnen der Gedanken anregen sollte. Einen lautstarken Sonderapbartträger plaus erhielt Susanne Weinhöppel für ihr dargebotenes „Dirndllied“, dessen Text aus der Feder von Kurt Tucholsky stammte: Mit einer grandiosen Chansonstimme sowie einer individuellen Harfensinfonie offenbarte die Musikerin ihr ganzes Talent, zwei an sich völlig unterschiedliche Musikformen zur gleichen Zeit meisterhaft in Szene zu setzen. Mimik, Mundart und ungewöhnliche Musik auf einer Wellenlänge – eine Lesung, die einfach Spaß machte und das Umfeld von Oskar Maria Graf in ein neues spannendes Licht rückte.