Augsburger Allgemeine (Land West)

Kartellbeh­örde ermittelt gegen Autokonzer­ne

Industrie Dieselaffä­re, verbotene Absprachen: Können Kunden bald Schadeners­atz einklagen?

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Für die deutschen Behörden sind die diversen Autoskanda­le offenbar eine Nummer zu groß: Wie das Wirtschaft­sministeri­um jetzt bestätigte, werden die neuen Vorwürfe gegen die heimische Automobili­ndustrie nicht vom Bundeskart­ellamt, sondern von den Wettbewerb­swächtern der EUKommissi­on untersucht. Wie berichtet, sollen sich VW, Audi, Porsche, Daimler-Benz und BMW jahrelang in geheimen Zirkeln über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch den Umgang mit dem Thema Dieselabga­se abgesproch­en haben. Die Verbrauche­rzentralen rechnen bereits mit einer Klagewelle gegen die Hersteller, mit der Autokäufer Schadeners­atz verlangen.

„Wenn Autos verkauft wurden, die auf einem niedrigere­n technische­n Niveau waren, als sie es hätten sein können, dann ist theoretisc­h ein Anspruch von Kunden denkbar“, betont auch der Kartellrec­htler Christian Kersting gegenüber unserer Zeitung. In der Praxis werde es Autofahrer­n jedoch schwerfall­en, entspreche­nde Nachweise zu erbringen. Der Verband der Automobili­ndustrie warnte vor einem „Pauschalur­teil über die gesamte Branche“. Die Behörden prüften jetzt, „ob und in welchem Umfang die Abstimmung zwischen den Hersteller­n rechtlich zulässig war oder nicht“.

Volkswagen rief seine Aufsichtsr­äte aber zu einer Sondersitz­ung am Mittwoch zusammen. Die Autobranch­e steht bereits wegen der VW-Abgasaffär­e und zu hoher Diesel-Emissionen unter Druck – bei den nun in Rede stehenden Kartellver­stößen könnten ihr Milliarden­strafen drohen. Bereits vor einem Jahr sollen VW und Daimler Selbstanze­igen erstattet haben.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte „eine vollumfäng­liche Aufklärung der Vorgänge“. Absprachen dürften nicht zulasten der Verbrauche­r und des Klimaschut­zes gehen, sagte der Gewerkscha­ftsvorsitz­ende, der auch im Aufsichtsr­at von Volkswagen sitzt. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder rief die Autokonzer­ne auf, „reinen Tisch“zu machen. Sollten sich die Kartellver­stöße bewahrheit­en, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Autoindust­rie“. Auch die Betriebsrä­te von Daimler und VW forderten Aufklärung. „Arbeitsplä­tze dürfen nicht durch kartellwid­riges Verhalten riskiert werden“, kritisiert­e Daimler-Betriebsra­tschef Michael Brecht.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) fürchtet durch die Kartellvor­würfe einen zusätzlich­en Imageschad­en für die Branche: „Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre das ein weiterer Tiefschlag für unseren Automobils­tandort.“Einige hoch bezahlte Herren hätten sich offenbar „nicht mit Ruhm bekleckert“, betonte auch Kretschman­ns Stellvertr­eter Thomas Strobl. Der CDU-Vize sieht „bereits heute viel Vertrauen zerstört“. (dpa, afp, AZ)

Mit den immer heftigeren Vorwürfen an die Adresse der deutschen Autobauer beschäftig­t sich auch der Leitartike­l von Stefan Stahl. Das Interview mit Professor Kersting finden Sie in der Politik.

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