Augsburger Allgemeine (Land West)
Allein Userin „Angela“bietet an einem Tag ganze 700 Wohnungen an
An der der Plaza del Pes de sa Palla sind blaue Fähnchen und Lichterketten gespannt. Darunter stehen lange, mit weißen Tüchern gedeckte Tische, die sich nach und nach mit Tupperdosen und Papptellern füllen. Es ist Stadtteilfest und die Anwohner des Canamunt, wie der obere Teil von Palmas Altstadt heißt, treffen sich an diesem Abend zum „sopar a la fresca“, zum Abendessen im Freien. Doch geteilt werden bei dieser schönen mallorquinischen Tradition längst nicht mehr nur Brot, Wein und Käse, sondern auch Sorgen und Ungemach angesichts der stetig größer werdenden Urlaubermassen.
„Wir Canamunters sind eine vom Aussterben bedrohte Art“, schreit Manel Domènech in die Menge. Der 63-Jährige mit dem fast weißen Rauschebart gehört der Initiative an, die es Ende Mai mit einer Demo, bei der sich Einheimische mit Tennissocken, offenen Hemden und Rollkoffern als Touris verkleidet hatten, sogar ins deutsche Fernsehen schaffte. Nun macht Domènech seinem Unmut bei seiner Festrede Luft. Statt feierlicher Worte hagelt es böse Kritik – am ausufernden Airbnb-Angebot, an den Heerscharen an Kreuzfahrt-Touristen, an den oftmals ausländischen Investoren, die die Altstadt nur so mit Lofts und Luxushotels zukleistern.
Als er sich vor 25 Jahren seine Wohnung kaufte, galt die Gegend als Rotlichtviertel, war heruntergekommen, viele Leute machten einen Bogen drumrum. „Dafür gab es einen Bäcker, einen Zeitungskiosk, eine Bank“, erzählt Domènech. Inzwischen sei der Geist des Viertels verloren gegangen. Manche Nachbarn bewohnen ihr Domizil nur ein paar Wochen im Jahr, andere wechseln im Sieben-Tages-Rhythmus, und mit den Eigentümern, die ihre Wohnung über die einschlägigen Internetportale vermieten, habe man nur noch Kontakt, wenn es mal wieder Zoff wegen zu laut feiernder oder zu oft duschender Urlauber gibt. Auch Uta Gritschke, die vor zehn Jahren von Berlin nach Mallorca zog und mit ihrem damaligen mallorquinischen Lebensgefährten in einer kleinen Altstadtgasse eine Bodega eröffnete, hat den Wandel bemerkt. In ihrem kleinen, mit alten Siphonflaschen dekorierten Laden treffen sich seit jeher Einheimische und ausländische Residenten auf ein Glas Wein oder Wermut – oder frischen ihren Vorrat an Sprudelwasser auf, das es hier noch in den auf der Insel fast ausgestorbenen Pfandflaschen gibt. „Doch viele Nachbarn sind inzwischen weggezogen, weil ihre Häuser verkauft wurden“, sagt die Deutsche. Und die Gäste der teuren Boutiquehotels würden die ehemalige Kundschaft nicht ersetzen. „Die bringen dem Viertel überhaupt nichts.“Statt traditionelle Läden oder einfache Restaurants zu besuchen, ließen sich die Luxusurlauber mit dem Taxi zu den Sehenswürdigkeiten und von dort in einen noblen – aber leider global austauschbaren – Beachclub chauffieren.
Gentrifizierug heißt diese Veränderung eines Stadtviertels im Fachjargon. Zu glauben, dass ausgerechnet Palma von einem Prozess verschont bliebe, der Berlin genauso wie Barcelona zu schaffen macht, ist freilich absurd. Doch in der Inselhauptstadt, die vor zehn Jahren noch ein relativ verschlafenes Nest war, für das sich kaum ein Tourist länger als einen halben Vormittag interessierte, ging eben alles sehr schnell.
Innerhalb weniger Jahre wurden ganze Straßenzüge restauriert und in Luxusapartments verwandelt, allein zwischen 2012 und 2016 kamen 28 neue Stadt- und Boutiquehotels hinzu. Außerdem trifft die Entwicklung in Palmas Altstadt mit einem nie da gewesenen Urlauberansturm auf die gesamte Insel zusammen. Der Rekord vom 9. August 2016, als sich auf Mallorca und den anderen Baleareninseln rund eine Million Urlauber – neben genauso vielen Einwohnern – tummelten, wird heuer noch getoppt. Es war noch nie so voll. Und es war noch nie so angesagt, das offen auszusprechen. Egal ob beim Friseur, im Supermarkt oder am Bar-Tresen – es gehört fast schon zum guten Ton, ein gequältes „all diese Urlauber“auszustoßen, ehe dann über verstopfte Straßen oder unbezahlbare Mieten hergezogen wird.
„Das Problem ist einfach die Masse“, sagt Joaquín Valdivielso von der Umweltschutzbewegung Terraferida (mallorquinisch für verletzte Erde). Solange die Nachfrage nach Ferien auf Mallorca weiter steige, helfe nur eins: das Angebot reduzieren. „Damit können wir nicht warten, bis im östlichen Mittelmeer Ruhe einkehrt und die Leute wieder dorthin fahren, dann ist es vielleicht zu spät.“Die Insel sei mit ihren Kräften am Ende, Straßen und Müllverbrennungsanlage längst am Limit. „Unsere Kläranlagen sind für maximal 1,4 Millionen Menschen ausgelegt. Sind zwei Millionen hier, fließt ein Viertel dreckig ins Meer“, poltert Valdivielso. Für die Seegraswiesen vor Mallorcas Küste, denen Traumstände wie Es Trenc ihr türkisfarbenes Wasser verdanken, sei das der Anfang vom Ende.
Neben der Umwelt sieht Valdivielso, im normalen Leben Philosophiedozent an der Balearen-Uni, den sozialen Frieden in Gefahr. Schuld daran: die Ferienvermietung über Internetportale. Eine Studie von Terraferida kam zu dem Schluss, dass es in Privatunterkünften mehr als 78 000 Gästebetten gibt, wobei von der angeblichen sharing economy nicht viel übrig ist: 17 Prozent des Angebots läge in den Händen von nur 20 Personen, allein Userin „Angela“bot an einem Tag an die 700 Wohnungen feil.
Die Politik schrie zunächst auf, alles übertrieben, ehe der Inselrat in einer eigenen Erhebung auf fast 125 000 Betten kam, der Großteil davon nicht genehmigt. Die linksökologische Inselregierung bastelte bereits Monate davor an einem Gesetz, das Airbnb und Co. zwar generell legalisieren, aber scharf reglementieren und in besonders überlasteten Stadtvierteln sogar verbieten soll, während Schwarz-Anbietern Strafen von bis zu 40 000 Euro drohen.
Die Stadt Palma hat zudem beschlossen, bis auf Weiteres keine neuen Hotels zu genehmigen, wobei die boomenden Boutiquehotels ausgenommen sind – und auf der restlichen Insel sowieso munter weitergebaut werden darf. „Der klare politische Wille, dem Wachstum Einhalt zu gebieten, fehlt nach wie vor“, ist Valdivielso überzeugt. Es ist freilich bequemer, den Politikern Versagen vorzuwerfen und seinen Frust an den Urlaubern abzulassen, als sich an die eigene Nase zu fassen. Vor kurzem etwa sorgte die Werbekampagne einer schwedischen Immobilienfirma für Entsetzen, die Einheimische mit dem Versprechen „Wir kennen genug frierende Skandinavier“zum Hausverkauf animieren will. Wie kann man nur? Wie unverschämt! Schnell war wieder vom Ausverkauf der Insel die Rede. Maklerin Tete Crespí von der Agentur Monapart ist der Schachzug der Konkurrenz nicht entgangen, doch stellt sie klar: „Hinter jedem ausländischen Käufer steht ein mallorquinischer Verkäufer. Hier wird niemand