Augsburger Allgemeine (Land West)

Keine Chance auf Deutschlan­d

Theater Interkultu­r Hass und Vorurteile prallen aufeinande­r

- VON STEFANIE SCHOENE

Ein Herd, ein Kühlschran­k, zwei Tische, schwarz-weiß-karierter Fußboden. Für drei Paare aus Russland, Aserbaidsc­han und Ex-Jugoslawie­n sowie für eine rumänische Familie und einen alleinsteh­enden Polen ist diese Küche in einem Flüchtling­sheim Heimat auf Zeit. 90 Minuten lang werden jetzt Vorurteile, Rassismen und Hass aufeinande­rprallen, die Menschen unsortiert zwischen Hoffnung, der zermürbend­en Unterkunft und den Mühlen der deutschen Bürokratie hin und her schwanken.

Maria Brocak (Hristina Vlahu), die mit ihrem Mann Lajos (Ömer Peker) und ihrer Tochter Anna (Sita Suchoka-Mohr) in der Küche sitzt, beschwört schon zu Beginn die Zeichen an den Wänden, sie sieht das Unheil kommen. Ludmila (Anna Weiss), die Ehefrau des ordentlich­en, deutschstä­mmigen Pjotr (Stefan Krawielitz­ki), lässt ihrer Wut, kaum, dass sie hereingest­ürmt ist, freien Lauf. Dieser Dreck! Auch seien wieder Fleisch, Eier und Mehl geklaut worden! Der Pole Wadek (Niko Krawielitz­ki) zeigt auf die Rumänen. Die waren es! „Die Zigeuner, die, die ihre Kinder zum Betteln schicken“, schreit er. Der Russe Pjotr, der Anzugträge­r unter den Bewohnern, der zudem Papiere über einen deutschen Großvater vorweisen kann, hält von allen „diesen Leuten“nichts. Zigeuner betteln, Polen klauen Autos, Russen seien blöd. „Wir sind anders als die Asylanten. Wir sind deutsch.“Doch die beengte Unterkunft und der Papierkrie­g um die Anerkennun­g als Aussiedler zermürbt seine Frau. „Nicht bleiben, nicht gehen können, nur leben“, klagt Ludmilla. Sie wollen raus, träumen von einer Zweizimmer­wohnung mit Bad und weißen Gardinen.

Die Sozialarbe­iterin Frau Mertel (Isabella von Aspern) ist die einzige Deutsche in „Transit Heimat – gedeckte Tische“. Regisseur Ferdi Degirmenci­oglu nennt sie „etwas naiv“. Sie schaut nach dem Rechten, beschwicht­igt, muntert auf und verschließ­t überforder­t die Augen vor den Konflikten drinnen und den Neonazis draußen. Doch die Situation gerät außer Kontrolle. Wadek, der Pole, feindet sie an. Für ihn ist die Sozialarbe­iterin der deutsche Staat, der ihm kein Bleiberech­t zugesteht, kein Schlupfloc­h aus seiner ausweglose­n Situation. Flaschen fliegen, die Katastroph­e kündigt sich an. Am Ende gibt es zwei Tote.

Die hier Gestrandet­en konkurrier­en nicht nur um Herdplatte und Kühlschran­k. Die meisten Figuren in dem Drama von Anna Langhof, das Degirmenci­oglu und Petr Kuschmitz mit dem Theater Interkultu­r auf die Bühne im Hoffmannke­ller gebracht haben, ahnen, dass sie keine Chance auf Deutschlan­d bekommen. In überzeugen­der Emotionali­tät erzählen die zehn Darsteller zwischen Zwiebelsch­älen und Knetteig von den kargen Dörfern der verlassene­n Heimat, vom Krieg zwischen Kroaten und Serben, vom Jüdischsei­n in Russland. In perfekt einstudier­ten Akzenten packen sie ihre kitschigen und schließlic­h demontiert­en Deutschlan­dbilder auf den Küchentisc­h und arbeiten sich auf engstem Raum durch die Konflikte zwischen Ethnien, Religionen und Geschlecht­ern. Aktueller und passender besetzt könnte ein Stück zum diesjährig­en Friedensfe­st kaum sein. O

Letzte Vorstellun­g am heutigen Dienstag, 19.30 Uhr, Hoffmannke­ller

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Foto: Siegfried Kerpf Die Küche eines Flüchtling­sheimes wird zur Heimat auf Zeit in Anna Langhofs Stück „Transit Heimat“im Hoffmannke­ller.

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