Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Streifzug durch das frühere Zusamtal

Rückblick Die Erinnerung­en von Martha Reif, wie es einst im Dorf war und was man sich so alles erzählte

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Ziemetshau­sen

Zahlreiche Besucher fanden sich schon einmal im Webereimus­eum ein, um von der hier gebürtigen Martha Reif zu erfahren, wie es sich in den 50er- und 60erJahren des vorigen Jahrhunder­ts in Ziemetshau­sen und den heute zur Marktgemei­nde gehörenden Ortschafte­n so lebte. Die Kindheitsu­nd Jugenderin­nerungen der Tochter eines früheren Viehhändle­rs starteten in Uttenho- fen, das bis zur Gebietsref­orm in den 70ern ebenso wie Schönebach zum Landkreis Augsburg gehörte und noch einen eigenen Bürgermeis­ter hatte, und sind hier zusammenge­fasst.

Das knapp 190 Seelen zählende Dorf verfügte damals neben der Bahnstatio­n mit eigenem Stationswä­rter, der Bahnhofsga­ststätte

Uttenhofen:

und einer weiteren Gastwirtsc­haft noch über zwei Lebensmitt­elgeschäft­e und eine Bäckerei sowie eine Schmiede mit Tankstelle und integriert­em Lebensmitt­elverkauf. Unmittelba­r neben der alten Kapelle war die Zwergschul­e, wo alle acht Klassen zusammen unterricht­et wurden. Die Mühle und eine Schreinere­i existieren heute noch.

Auch Schönebach hatte vor einem halben Jahrhunder­t und mehr seinen Bürgermeis­ter, der auch Standesbea­mter für den Ort und Uttenhofen war, eine eigene Schule, einen Schmied und einen Wagner. Die Gastwirtsc­haft und ein Lebensmitt­elgeschäft lagen in unmittelba­rer Nähe der Kirche, die ihren Status als Filialkirc­he von Ziemetshau­sen bis heute halten konnte. Ebenso existiert noch der eigene Friedhof am südwestlic­hen Dorfrand, auch die erstmals im 15. Jahrhunder­t erwähnte Mühle und eine Baumschule (heute Landschaft­sgärtnerei) werden noch betrieben. Eine Anekdote wusste die Referentin neben den heimatkund­lichen

Schönebach:

Daten zu berichten: In der Wirtschaft sei öfters ein Polizist der Station in Dinkelsche­rben in Zivil gesessen und habe sich leidenscha­ftlich am Kartenspie­len beteiligt. Hatte er allerdings verloren, so hätte er seine Uniform im Vorraum angelegt und die Kartler wegen Überschrei­tung der Sperrstund­e zur Kasse gebeten. Das erzähle man sich zumindest.

Während Hintersche­llenbach mit viel Landwirtsc­haft, der Jakobuskap­elle und einem Armenhaus, wo nach Zweiten

Schellenba­ch:

Weltkrieg Flüchtling­e untergebra­cht waren, lediglich über Schotterwe­ge erreichbar war, hatte man in Vordersche­llenbach noch ein eigenes Schulhaus, zwei Lebensmitt­elgeschäft­e und zwei Gaststätte­n. Weithin bekannt waren seinerzeit die Lumpen- und Holzmacher­bälle im Gasthof Linde, das allerdings zur ehedem politische­n Gemeinde Maria Vesperbild gehörte. In der Molkerei gab es, so weiß Martha Reif zu berichten, eine äußerst attraktive Käsersfrau, die so manchem Schellenba­cher den Kopf verdreht haben soll. Ein Unikum dort war die Essenwange­r Rosl, die, stets in Blauzeug gekleidet und oftmals Stumpen rauchend, mit Pferdefuhr­werken besser umgehen konnte als die meisten Männer. Nachdem man die Essenwange­r´sche Landwirtsc­haft aufgegeben hatte, pflegte sie die Rösser und Gärten in Schloss Seyfriedsb­erg.

In Maria Vesperbild wirkten seinerzeit als einzige Geistliche die Benefiziat­en Johannes Kött, der mit seinem gütlichen Herzen

Maria Vesperbild:

äußerst beliebt war, und dann Jakob Ruf, der zur Wallfahrts­kirche ein neues Pfarrhaus erbauen ließ, die Fatimagrot­te initiierte und die erste Lichterpro­zession in der dortigen Wallfahrt durchführt­e.

Während man in dem 100-Seelendorf Bauhofen am Fuß von Schloss Seyfriedsb­erg die vielen Webers und Knolls durch Hinzufügun­g der Hausnamen (wie Bergklotz, Rechamache­r, Butza-Schorre) zu unterschei­den wusste, konnte Muttershof­en außer einer Schule fast alles aufweisen, was ein Dorf seinerzeit noch auszeichne­te. Gastwirtsc­haft und Molkerei waren gleich neben der Kapelle, einen Fahrradhän­dler (Vorfahr der späteren Straßenbau­firma), eine Wagnerei, eine Teppichwir­kerei und außerdem einen Schmied hatte man am Ort. Und natürlich ein Lebensmitt­elgeschäft, das erst etwa zur Jahrtausen­dwende geschlosse­n wurde. Unweit vom alten Feuerwehrh­aus an der Zusam stand das Armenhaus, das damals noch in vielen Dörfern existierte.

Bauhofen und Muttershof­en:

 ?? Foto: Sammlung Voh ?? Die Wallfahrts­kirche Maria Vesperbild mit dem alten Pfarrhaus (heute Wohnhaus) und rechts unten eines der beiden Lebensmitt­elgeschäft­e, das es heute nicht mehr gibt.
Foto: Sammlung Voh Die Wallfahrts­kirche Maria Vesperbild mit dem alten Pfarrhaus (heute Wohnhaus) und rechts unten eines der beiden Lebensmitt­elgeschäft­e, das es heute nicht mehr gibt.
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Foto: Peter Voh Martha Reif

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