Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Spezialist für dunkle Typen
Porträt Wohl kein anderer österreichischer Schauspieler ist in Film und Fernsehen so oft zu sehen wie Tobias Moretti. Aktuell aber schlüpft er in eine besondere Rolle
Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Schauspieler in diese Rolle schlüpfen würde. Der Jedermann in Hugo von Hofmannsthals gleichnamigem Mysterienspektakel auf der Bühne der Salzburger Festspiele: Die Rolle ist österreichisches Nationalheiligtum, wonach alle großen Mimen des Landes greifen. Und jetzt als Jedermann ein Akteur, der heute so präsent ist wie kein zweiter Schauspieler Österreichs: Tobias Moretti. Den ganzen August hindurch wird er noch auf dem Salzburger Domplatz den Lastern des reichen Mannes frönen, der am Ende bitter bereut.
Seine breite Bekanntheit verdankt Moretti freilich nicht dem Theater, sondern seinen inzwischen ungezählten Fernseh- und Filmauftritten. Eben erst hat der Sender 3sat dem Charakterkopf eine ganze Reihe gewidmet mit Filmen seit den 90er Jahren. Damals gelang ihm der Durchbruch mit leichter Vorabendunterhaltung – er spielte den Ermittler an der Seite von „Kommissar Rex“, einem Schäferhund. Schon damals war das Publikum entzückt von dem Bauernbub-Charme und den blitzenden Augen unter der ungebärdigen dunklen Mähne.
Moretti stammt tatsächlich aus den Bergen. 1959 in Tirol geboren, verbrachte er seine Kindheit in einem Bergbauerndorf. Als sich jedoch der künstlerische Berufswunsch regte, ging es nach Wien und dann nach München, wo er seine Schauspielausbildung an der Falckenberg-Schule absolvierte. An der Isar hatte Moretti – der den Familiennamen seiner Mutter übernahm – erste Bühnen-Engagements bei TopAdressen wie dem Bayerischen Staatsschauspiel und den Münchner Kammerspielen. Auch als das Fernsehen schon gierig nach ihm griff, hat er sich nie von der Theaterbühne verabschiedet, war an der Wiener Burg, den Salzburger Festspielen und in München zu sehen. Faszinierend an diesem Schauspieler ist das Spektrum der von ihm dargestellten Charaktere. In Film und Fernsehen ist er erste Wahl bei der Besetzung von Düstermännern („Das finstere Tal“), belasteten Existenzen („Schwabenkinder“) und haltlosen Kommissaren („Die Rückkehr des Tanzlehrers“). Verständlich, dass ihm bei seiner Herkunft und in Anbetracht seines körperbetonten Spiels die Rolle des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer auf den Leib geschrieben war. Zu den Glanztaten gehört auch sein Auftritt in dem Doku-Drama „Speer und Er“, in dem er als Hitler über die Bildschirme geiferte.
Dass Moretti mit 58 Jahren immer noch unverschämt jung aussieht, liegt vielleicht an der Luft in den Tiroler Bergen, wo der Vater dreier Kinder mit seiner Frau auf einem Bauernhof lebt. Den nutzt er nicht nur als ländliches Rückzugsidyll, sondern bewirtschaftet ihn auch, hat er doch auch ein Landwirts-Diplom in der Tasche. Lange Verweilzeiten sind ihm aber nie gegönnt – die nächsten Schurken, Gebrochenen, Gescheiterten warten schon. Stefan Dosch