Augsburger Allgemeine (Land West)
Türkei und EU: Immerhin reden sie noch
Diplomatie Warum das Verhältnis nach dem gestrigen Treffen nicht besser geworden ist
Brüssel
Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind gespannt wie lange nicht. Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Atmosphäre trafen sich gestern zwei türkische Regierungsmitglieder mit EU-Vertretern, um über die weitere Zusammenarbeit zu reden. Am Ende war also die wichtigste Nachricht vom Treffen der Minister Mevlüt Cavusoglu (Außen) und Ömer Celik (Europa) mit EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn: Man hat sich überhaupt zusammengesetzt – trotz allem.
Als die vier nach stundenlangen Gesprächen vor die Presse traten, beschworen sie zwar einhellig den „konstruktiven Dialog“. Ansonsten aber blieb man sich fremd. Mehr noch: Selbst vor eingeschalteten Mikrofonen und Kameras traten die Differenzen offen zutage. „Wir erwarten, dass den verhafteten Journalisten ein faires und rechtsstaatliches Verfahren gemacht wird“, sagte Hahn und ergänzte: „Meinungsfreiheit gehört für jede demokratische Zivilgesellschaft dazu.“Dagegen verstieg sich Ankaras Außenminister Cavusoglu in eine fast schon abenteuerliche Unterscheidung zwischen „ehrlichen Journalisten“und „solchen, die den Terror unterstützen“. Das müsse man „genau differenzieren“.
Keinen Millimeter wichen die türkischen Vertreter von der Linie ihres Staatspräsidenten ab. Wer auf ein bisschen Bewegung oder wenigstens Gesprächsbereitschaft gehofft hatte, wurde enttäuscht. Mogherini bilanzierte am Ende ernüchtert: „Wir haben noch viel zu tun.“
Zwar betonten beide Partner, die Kooperation werde weitergehen. Der Flüchtlingsdeal wurde sogar gelobt. Cavusoglu: „Die Zahl der Hilfesuchenden über die Türkei nach Europa ist um 99 Prozent zurückgegangen.“Aber er ermahnte die Gemeinschaft zugleich, Ankara habe seine Zusagen eingehalten, die EU jedoch sei noch einiges schuldig geblieben. Ein deutlicher Hinweis auf die weiter ausstehende visafreie Einreise für türkische Staatsbürger. Brüssels Vertreter konterten kühl: „Die Türkei kennt die Bedingungen und muss sie erfüllen.“Von 72 Kriterien, die abgehakt sein müssen, sind noch fünf offen – darunter eine Reform des Terrorismus-Paragrafen, die Ankara strikt ablehnt. Das wird niemanden verwundern: Schließlich wären ohne dieses Gesetz weder Massenverhaftungen noch die drastischen Schläge gegen kritische Journalisten möglich.
Hinter verschlossenen Türen, so hieß es, habe sich vor allem Mogherini bemüht, das Gespräch auf die Punkte zu lenken, bei denen es gemeinsame Interessen gebe: Dazu zählen die Zusammenarbeit in Energiefragen, der Kampf gegen den Terrorismus und auch die KatarKrise sowie die Probleme in Syrien, dem Irak und am Golf. Doch was nach einem Abarbeiten des Aktionsplans klang, den Erdogan selbst bei seinem letzten Besuch in Brüssel vereinbart hatte, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als ein viel weitergehenderes Problem. Europaminister Celik machte nämlich klar: „Die Türkei ist ein Beitrittskandidat. Das ist die Basis für alle Einzelfragen, die wir lösen können.“Zwar hat sich bisher nur Österreich im Kreis der Mitgliedstaaten offen für einen Abbruch der Gespräche eingesetzt. Aber selbst das Europa-Parlament fordert inzwischen einen Stopp aller Beitrittsverhandlungen.
Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind gestern nicht besser geworden.