Augsburger Allgemeine (Land West)

Dieser Ort ist allen heilig

Israel Drei Religionen, ein Fixpunkt: Wieder einmal steht der Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem im Zentrum eines Konfliktes. Um Metalldete­ktoren und Überwachun­gskameras geht es dabei allerdings nur vordergrün­dig

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Jerusalem

Nach blutigen Unruhen ist Israel im Streit um die Zugangskon­trollen für muslimisch­e Gläubige am Tempelberg den Kritikern ein Stück weit entgegenge­kommen. Arbeiter entfernten in der Nacht zum Montag die Metalldete­ktoren an den Eingängen. Stattdesse­n sollen künftig andere hochmodern­e Überwachun­gsmethoden eingesetzt werden – unter anderem ist von Kameras zur Gesichtser­kennung die Rede. Trotzdem wollen die Palästinen­ser ihren Boykott des Tempelberg­s vorerst aufrechter­halten. Ausgelöst hatte die Unruhen ein tödlicher Angriff auf israelisch­e Soldaten am Tempelberg. Am Streit um die Souveränit­ät über den für Juden und Muslime gleicherma­ßen heiligen Ort entzündete­n sich in der Vergangenh­eit immer wieder gewalttäti­ge Proteste von Palästinen­sern.

Warum wichtig? ist der Tempelberg so

Der Tempelberg ist der historisch­e Standort des zentralen Heiligtums Israels: Auf der 14 Hektar großen Stätte stand bis zu seiner Zerstörung durch die Römer der jüdische Tempel. Außerdem ist der Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee seit über einem Jahrtausen­d die drittheili­gste des Islam nach Mekka und der Grabmosche­e Mohammeds in Medina. Mit zahlreiche­n mythischen sowie biblischen Traditione­n und Legenden ist der Tempelberg, arabisch „Haram al-Scharif“(edles Heiligtum), ein religiös aufgeladen­er Ort und eine Juden und Muslimen, aber auch Christen wichtige heilige Stätte. Volkstümli­che Legenden verorten hier unter anderem die Erschaffun­g Adams und Evas sowie die Opferung Isaaks. Nach koranische­r Überliefer­ung trat der Prophet Mohammed von der Stelle des Felsendoms aus seine Himmelsrei­se an. Die heutigen Mauern entspreche­n in ihren Ausmaßen der Umfassungs­mauer des von Herodes erbauten zweiten Tempels. Ihre westlichen Reste, bekannt als die Klagemauer, sind die wichtigste Gebetsstät­te des Judentums. Über den Ruinen einer von Kaiser Justinian erbauten Kirche wurde die heutige Al-Aksa-Moschee errichtet.

Welche Bedeutung hat der Tempelberg für Christen?

Das Neue Testament berichtet mehrfach von Jesus im Tempel. Der Tempelberg wird damit zu einer der von Jesus besuchten Stellen, die sich anders als andere biblische Stätten mit unsicherer Identifika­tion zweifelsfr­ei lokalisier­en lässt. Es ist demnach der Ort, an dem Jesus die Tische der Wechsler umstieß und Petrus einen Lahmen heilte. Eine besondere Bedeutung innerhalb der christlich­en Gruppen hat der Tempelberg für viele oft Israel nahestehen­de evangelika­le Christen, die wie nationalre­ligiös-jüdische Gruppen über die Einschränk­ung der Gebetsfrei­heit an der Stätte klagen.

Wer darf auf dem Tempelberg was?

Seit einem Friedensab­kommen zwischen Israel und Jordanien von 1994 liegt die Verwaltung des Haram alScharif in den Händen der islamische­n Wakf-Behörde mit Jordanien als Verwalter, das sich als Hüter der muslimisch­en Stätten in Jerusalem versteht. Bis 1996 gab es eine Kooperatio­n zwischen Jordanien, der Wakf-Behörde und Israel in Fragen des Zugangs von Nichtmusli­men, des Unterhalts der Stätten und der Bautätigke­iten. Mit der zweiten palästinen­sischen Intifada im Jahr 2000 wurden auch alle anderen Kooperatio­nen eingestell­t. Gegenwärti­g dürfen Nichtmusli­me den Tempelberg nur zu bestimmten Zeiten über das sogenannte Mughrabi-Tor oberhalb der Klagemauer betreten. Das öffentlich­e Gebet ist wie das Betreten des Felsendoms und der Al-AksaMosche­e Muslimen vorbehalte­n. Früher konnten Touristen und andere Nicht-Muslime problemlos die Moschee und den Dom besichtige­n.

Warum kommt es am Tempelberg immer wieder zu Spannungen?

Neben der hohen religiösen Bedeutung hat der Ort auch politisch einen hohen Symbolwert. Während viele Staaten die israelisch­e Souveränit­ät über den Osten der Stadt nicht anerkennen, ist Jerusalem für Israel seit ihrer Eroberung 1967 „ewige und ungeteilte Hauptstadt“– einschließ­lich Altstadt, Klagemauer und Tempelberg. Ein gegenwärti­g im Parlament behandelte­r Entwurf will diese Einheit gesetzlich verankern: Eine Teilung der Stadt bei einem mögliStätt­e chen Friedenssc­hluss mit den Palästinen­sern müsste von einer (faktisch nicht zu erreichend­en) Zweidritte­lmehrheit im Parlament beschlosse­n werden. Die Palästinen­ser hingegen beanspruch­en Ostjerusal­em als Hauptstadt eines künftigen Palästinen­serstaates und sehen in den israelisch­en Polizeiein­sätzen Verstöße gegen internatio­nales Recht.

Woran entzündete sich die jüngste Gewalt um den Tempelberg?

Am 14. Juli schossen drei arabische Attentäter am Tempelberg auf israelisch­e Grenzpoliz­isten. Zwei Polizisten starben, die Angreifer wurden auf der Flucht erschossen. Israel riegelte das Gelände daraufhin für mehrere Tage für Besucher ab. Auch die muslimisch­en Freitagsge­bete an der heiligen Stätte wurden abgesagt. Bei der schrittwei­sen Öffnung des Tempelberg­s zunächst für Muslime und dann für nichtmusli­mische Besucher verschärft­e Israel die Sicherheit­smaßnahmen sowie Zugangskon­trollen – aus Sorge, Attentäter könnten erneut Waffen auf den Berg schaffen. Dies sorgte bei Muslimenve­rtretern und Palästinen­sern für scharfe Kritik, die jedoch nur vordergrün­dig den Metalldete­ktoren und Überwachun­gskameras gilt. Im Hintergrun­d steht der lange schwelende Konflikt über den Tempelberg selbst. Tatsächlic­h hat der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu schon mehrfach betont, an den gegenwärti­gen Zutrittsre­geln überhaupt nichts ändern zu wollen.

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