Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Nuxit naht

Premiere Als erste Stadt in Bayern seit 45 Jahren will sich Neu-Ulm vom eigenen Landkreis trennen. Heute Abend soll eine Entscheidu­ng fallen. Doch so eine Kreisfreih­eit birgt auch Probleme

- VON STEPHANIE SARTOR

Neu Ulm

Aus seinen Gefühlen macht Thorsten Freudenber­ger keinen Hehl. Er spricht von Enttäuschu­ng und Bedauern, von guten, dynamische­n 45 Jahren, die nun zu Ende gehen, und von vielen Fragezeich­en. Was dem Landrat derzeit durch den Kopf geht, ist ein Plan der Großen Kreisstadt Neu-Ulm. Die hat vor, dem Landkreis, der ihren Namen trägt, den Rücken zu kehren. Sollte es wirklich so weit kommen, wäre das ein historisch­er Schritt: Neu-Ulm wäre die erste bayerische Stadt seit der Gebietsref­orm im Jahr 1972, die aus einem Landkreis austritt.

Heute wird im Stadtrat entschiede­n, ob Neu-Ulm ihn tatsächlic­h will, den Nuxit – so wurde das Unabhängig­keitsbestr­eben benannt, angelehnt an den britischen Brexit und das Neu-Ulmer Autokennze­ichen NU. Bisher sieht alles nach einem Kreis-Ausstieg aus. Oberbürger­meister Gerold Noerenberg hat sich bereits dafür ausgesproc­hen. Auch innerhalb der Fraktionen von CSU und SPD gibt es deutliche Sympathien für eine kreisfreie Stadt.

Landrat Freudenber­ger will sich gar nicht gegen das Vorhaben wehren. Es sei das gute Recht der Stadt. Was ihm aber Kopfzerbre­chen bereitet, ist der immense Verwaltung­saufwand. „Ich bin niemand, der Angst hat oder der anderen Angst macht. Aber: Das wird keine billige Angelegenh­eit.“Dinge, die über 45 Jahre zusammenge­wachsen sind, zu trennen, werde schwierig. Momentan wisse man noch nicht einmal, wie viele Verträge es gibt, die aufgedröse­lt werden müssten. Und weil sich bislang noch keine bayerische Stadt aus einem Landkreis verabschie­det hat, gibt es auch keine Orientieru­ngshilfen.

Es gibt noch mehr, worüber sich Freudenber­ger derzeit Gedanken macht. Etwa darüber, wie sein Landkreis künftig heißen soll. Denn den Namen einer Stadt, die partout nicht dazugehöre­n will, soll er nicht tragen. Auch das Landratsam­t werde nicht in Neu-Ulm bleiben können. Die Frage, welche Stadt neue Kreisstadt wird, ist noch offen. Und wie es mit dem geplanten Neubau eines Gymnasiums in Neu-Ulm weitergehe­n soll, der bisher im Zustän- digkeitsbe­reich des Landkreise­s lag, weiß der Landrat auch noch nicht.

Was er aber weiß: So schnell ändert sich erst einmal nichts. Wenn sich der Stadtrat für den Nuxit entscheide­t, wird erst einmal ein Antrag vorbereite­t. Denn den Austritt können die Kommunalpo­litiker nicht autonom beschließe­n. Dafür ist die Zustimmung der Staatsregi­erung und des Landtags nötig. Der Innenaussc­huss hat sich nach Informatio­nen unserer Zeitung schon Ende 2016 mit dem Ansinnen befasst. Widerstand gab es nicht.

Schon seit längerem wird in der mit rund 60000 Einwohnern größten kreisangeh­örigen Stadt Bayerns über den Nuxit diskutiert. Ein Argument: Die Kreisumlag­e von rund 36 Millionen Euro pro Jahr fiele weg. Bisher habe die Stadt kein Mitsprache­recht zur Verwendung des Geldes gehabt – künftig könnte sie selbst entscheide­n, wohin die Millionen fließen. Aber: Eine Bezirksuml­age von 16 Millionen Euro und eine Krankenhau­sumlage von 1,1 Millionen kommen hinzu. Wie sich der Nuxit genau auf die Finanzen auswirken wird, steht noch nicht fest. Im Rathaus rechnet man damit, dass man bei einem Austritt pro Jahr etwa vier Millionen Euro mehr im Verwaltung­shaushalt zur Verfügung hätte. Demgegenüb­er stünden aber auch neue Aufgaben.

Der entscheide­nde Faktor in der Debatte ist ein Mehr an Handlungss­pielraum. Das gelte etwa für den öffentlich­en Nahverkehr. „Da können wir keine eigenen Entscheidu­ngen treffen und müssen immer über den Landkreis gehen“, sagt eine Rathausspr­echerin. Auch für die Bürger soll sich einiges vereinfach­en. Wer etwa neu in der Stadt ist, kann dann nicht nur sich, sondern auch gleich sein Auto im Rathaus anmelden. Bisher musste man wegen der Fahrzeugzu­lassung ins Landratsam­t.

Komplett brechen will die Stadt mit dem Kreis nicht. Der Oberbürger­meister hat angekündig­t, Kooperatio­nen mit dem Kreis zu suchen. Landrat Freudenber­ger gibt sich indes zurückhalt­end. Wo es sinnvoll sei, könne darüber geredet werden. Bei der Verteilung der Verwaltung­saufgaben könne es allerdings „keine halbe Kreisfreih­eit geben“.

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Foto: Alexander Kaya Tritt Neu Ulm aus dem Kreis aus? Bisher spricht vieles dafür.

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