Augsburger Allgemeine (Land West)

Von wegen „Hausmütter­chen“und „Rabenmutte­r“

Familie Das Kleinkind in die Krippe geben oder es zu Hause betreuen und dafür 150 Euro pro Monat bekommen – seit Jahren gibt es Diskussion­en um die sogenannte „Herdprämie“. Zwei Mütter berichten über den Alltag mit und ohne Betreuungs­geld

- VON SANDRA LIERMANN

Augsburg

Welche Entscheidu­ng eine Mutter auch trifft – einen Krippenpla­tz für das Kleinkind suchen, um arbeiten zu gehen, oder daheim bleiben, um sich um den Nachwuchs zu kümmern – irgendjema­nd findet diese Entscheidu­ng falsch. „Rabenmutte­r“heißt es dann vorschnell oder „Hausmütter­chen“. Oft sind es Politiker, die über die Lebensentw­ürfe von Müttern streiten. Für besonders scharfe Diskussion­en hat in den vergangene­n Jahren das als „Herdprämie“verschrien­e Betreuungs­geld gesorgt. Diese 150 Euro pro Kind und Monat für Eltern, die auf einen Krippenpla­tz verzichten und ihren Nachwuchs selbst betreuen, haben Grundsatzd­ebatten ausgelöst. Dabei ist es oft keine Entscheidu­ng für oder gegen ein vermeintli­ch konservati­ves oder progressiv­es Lebensmode­ll. Manchmal gibt es einfach keine Alternativ­e.

So auch bei Eva Friedman, die eigentlich anders heißt, aber ihren wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ihr Sohn Vincent hat vor Kurzem seinen zweiten Geburtstag gefeiert und besucht seit knapp zehn Monaten am Vormittag eine Kinderkrip­pe. Die Gründe, ihn schon im Alter von knapp 15 Monaten dorthin zu geben, waren hauptsächl­ich finanziell­er Natur – aber nicht ausschließ­lich. „Mit nur einem Gehalt wäre es nicht machbar gewesen“, sagt Eva Friedman. „Hinzu kommt, dass ich auch wieder arbeiten wollte.“Das soziale Umfeld der Kollegen habe ihr gefehlt, ebenso die Bestätigun­g außerhalb der Familie.

Deshalb arbeitet die 26-Jährige aus Augsburg seitdem in Teilzeit bei einem städtische­n Bauunterne­hmen. Ihr Mann Stefan hat sich mit einer Bauträger-Firma selbststän­dig gemacht. Wenn sie morgens schon im Büro sitzt, bringt ihr Ehemann Vincent in die Krippe, die nur ein paar hundert Meter von der Wohnung entfernt liegt. Eva Friedman holt ihn mittags nach der Arbeit wieder ab.

Das wäre bei Familie Krug aus Altusried im Oberallgäu nicht so einfach möglich: Zur nächsten Kinderkrip­pe ist es eine halbe Stunde Fahrt. Den zweieinhal­bjährigen Michael morgens dort hinzubring­en und mittags wieder abzuholen, würde viel Zeit kosten. Zeit, die seine Eltern Elisabeth und Martin als selbststän­dige Landwirte nicht haben. „Es war von Anfang an klar, dass unsere Kinder nicht in eine Krippe gehen“, sagt Mutter Elisabeth, während sie Michaels kleine Schwester Lucia auf Schoß hält. Sie bezieht Betreuungs­geld – passt aber nicht so recht ins Bild des von Kritikern oft bemühten „Hausmütter­chens mit Herdprämie“: Früh am Morgen beginnt ihr Tag, schließlic­h wollen im familienei­genen Bio-Milchviehb­etrieb knapp 70 Tiere versorgt werden. Michael und Lucia schlafen noch, wenn ihre Eltern zum ersten Mal in den Stall gehen. Zum abendliche­n Melken kommen die beiden Kinder mit. „Das hat sich eben angeboten“, sagt Elisabeth Krug.

Eine Trennung von Arbeit, Freizeit und Zeit mit den Kindern gibt es bei den Krugs nicht. „Unser Alltag richtet sich schon nach den Kindern, aber letztlich geht alles ineinander über“, sagt die 32-Jährige. Anders als bei Eva Friedman: „Die Arbeit ist entspannen­d, ich sehe das als Zeit für mich. Nach ein paar Stunden komme ich ausgeglich­ener zu meinem Kind zurück“, sagt sie. „Anfangs war es schwierig, das Wichtigste, was ich habe, in fremde Hände zu geben. Das hat sich aber gelegt, als ich gemerkt habe, dass es ihm gut geht.“

Elisabeth Krug kann das nur bedingt nachvollzi­ehen: „Man verpasst so schnell etwas. Das erste Hinsetzen, das erste Krabbeln – das kommt nie wieder.“Eva Friedman sieht es anders: „Zwar bekomme ich jetzt weniger von Vincent mit, aber wenn ich ihn sehe, ist die Zeit viel qualitativ­er.“Zudem tue ihm der Krippendem besuch gut: „Mir war wichtig, dass er unter Kindern ist, gerade weil er noch Einzelkind ist.“Fremdeln sei kein Problem und anderen Menschen begegne er nun aufgeschlo­ssener.

Ein Entwicklun­gsschritt, der Michael noch bevorsteht: „Er ist zurückhalt­ender und weiß noch nicht genau, wie er mit fremden Situatione­n umgehen soll. Er schaut erst mal, wartet ab“, sagt seine Mutter. Auch sprachlich sei er noch nicht so weit entwickelt wie andere Kinder, die in die Krippe gehen. „Dafür ist er körperlich weiter. Er will überall helfen. Wenn er sieht, wie wir die Zugmaschin­e bedienen, will er das nachmachen“, sagt seine Mutter.

Und auch krank sei Michael so gut wie nie – im Gegensatz zu Krippenkin­dern, die sich dort schnell anstecken. Eine Situation, die Eva Friedman kennt: „Es kann schon kritisch werden, wenn Vincent krank ist“, sagt sie. Zwar stehen Eltern gesetzlich zehn sogenannte Kinderkran­kheitstage zu, die sie im Ernstfall zusätzlich zum Urlaub freinehmen können, „aber oft braucht man die schon für eine Krankheit des Kindes“. Selten bleibt es dabei. „Der Arbeitgebe­r hat da irgendwann weniger Verständni­s für. Da braucht man ein Umfeld, das das auffängt.“Das braucht auch die Familie Krug, auch wenn ein kränkelnde­s Kind dort ein weniger großes Problem ist: „Wir sind ja eh hier“, sagt Mutter Elisabeth. „Auf dem Hof bleibt dann vielleicht einiges liegen.“Doch natürlich gibt es Dinge, die trotz allem erledigt werden müssen – wie zum Beispiel Kühe melken. Gut, wenn dann die Großeltern einspringe­n.

Mit den Stereotype­n „Rabenmutte­r“und „Hausmütter­chen“können Eva Friedman und Elisabeth Krug nichts anfangen: „Jeder muss die Entscheidu­ng treffen, die von der finanziell­en und der familiären Situation her passt“, sagt Elisabeth Krug. Und Eva Friedman sagt: „Ich finde es toll, dass es Mütter gibt, die stolz sagen ,Ich bin Hausfrau und Mama‘ – obwohl das ja in der heutigen Zeit ein bisschen verrufen ist. Es ist schließlic­h schön, Zeit mit seinem Kind zu verbringen.“

Und die Kinder? Denen ist es wohl egal, ob sie wie Vincent mit gleichaltr­igen Freunden in der Krippe spielen und später ihr Mittagssch­läfchen gemeinsam im Schlafraum machen. Oder wie Michael mit der kleinen Schwester durch Garten und Kuhstall toben und anschließe­nd im Kindersitz auf dem Traktor schlummern.

„Man verpasst so schnell etwas“ „Wenn ich ihn sehe, ist die Zeit viel qualitativ­er“

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Fotos: Fotolia Soll ich das Kind betreuen oder gebe ich es in eine Krippe? Diese Fragen stellt sich jede Mutter irgendwann. Hier erzählen zwei von ih ren Erfahrunge­n, von Vorurteile­n und vom Alltag mit ihren Kindern.

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