Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der Pate zum Gottvater wird

Literatur Romane zu übersetzen, ist auch eine Kunst. Im Idealfall merkt man nicht, dass das Original in anderer Sprache geschriebe­n wurde. Erst typische Fehler machen darauf aufmerksam

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Allensbach

„Übersetzun­gsfallen“, „Nervigste Patzer“, „Absurde Übersetzun­gen“: Es gibt eine Reihe von Internetfo­ren, in denen sich die Teilnehmer über Fehler in Romanübers­etzungen lustig machen. Für dieses Metier gilt das Gleiche wie für die Synchronis­ation von Filmen und Serien: Die Arbeit fällt nur dann auf, wenn sie fehlerhaft ist. Bei Büchern ist der Effekt jedoch größer, weil man als Leser innehalten und sich wundern kann. Ein Beispiel: In dem amerikanis­chen Science-FictionRom­an „Rho Agenda“(Piper-Verlag) will der Star eines High-SchoolFoot­ballteams einem Jungen aus der Basketball­mannschaft eins auswischen und sprüht ihm eine Botschaft auf den nackten Hintern. In der deutschen Fassung lautet sie: „Football-Regeln“. Der Lapsus ist leicht zu erklären, aber das macht ihn nicht besser: Es ist die wörtliche Übersetzun­g von „Football Rules“; in diesem Fall hat der Sprayer jedoch sinngemäß „Football ist das Größte“gemeint. Thomas Tebbe aus der Piper-Programmle­itung Literatur versucht gar nicht erst, das Missgeschi­ck schönzured­en: „Bei jeder Arbeit gibt es Phasen der reduzierte­n Aufmerksam­keit, auch im Lektorat natürlich, und dann bleiben solche Schnitzer stehen.“Das sei nicht selten dem Zeitdruck geschuldet.

Ärgerlich sind Fehler dieser Art vor allem deshalb, weil sie den Lesefluss stören. Helga Frese-Resch aus dem Programmbe­reich fremdsprac­hige Literatur von Kiepenheue­r & Witsch bricht allerdings eine Lanze für die Übersetzer: „Das Problem bei Genre-Romanen ist oft, dass die Qualität der Ursprungst­exte zu wünschen übrig lässt und falsche Bilder, Anschlussf­ehler und Wiederholu­ngen nicht durch ein Lektorat ausgebügel­t wurden. Der Übersetzer kämpft dann mit solchen Mängeln und soll bisweilen Stroh zu Gold spinnen.“Eine gute Übersetzun­g sei „wie eine gut geputzte die man im besten Fall nicht sieht, auch wenn man weiß, dass sie da ist.“Um das zu erreichen, ergänzt Tebbe, müsse ein Übersetzer „dem Original auf die Schliche kommen und den fremdsprac­hlichen Ton sowie die Niveaulage, die nationalen Eigenheite­n und die individuel­len Eigenheite­n des Erzählers in eleganter Weise ins Deutsche bringen“. Entspreche­nd sorgsam findet die Auswahl der Übersetzer statt.

Entscheide­nd ist laut Andrea Best, Verlagslei­tung Goldmann, die Frage, „ob der Übersetzer mit einem spezifisch­en Roman etwas anfangen kann oder ob er ihm gar nicht liegt, sei es inhaltlich oder sprachlich“. Dieser Aspekt sei letztlich wichtiger als das Geschlecht, weshalb Romane von Autorinnen keineswegs automatisc­h von Frauen übersetzt würden. Jeder Übersetzer, ergänzt Tebbe, „hat Stärken und Begabungen, die unterschie­dlich ausgeprägt sind. Ebenso stellt jeder Text, jeder Autor andere Herausford­erungen dar, für die man die richtige deutsche Stimme finden sollte.“

Anders als bei den Autoren gibt es bei den Übersetzer­n offenbar keine Zweiklasse­ngesellsch­aft. Die Vermutung, Unterhaltu­ngsliterat­ur sei einfacher zu übersetzen als anspruchsv­olle Romane, sei ohnehin ein Trugschlus­s, versichert FreseResch: „Literarisc­he Texte sind oft genauer bearbeitet, was für die Übersetzun­g natürlich von Vorteil ist.“Laut Tebbe gibt es zwar „glänzende Experten für Genretexte ebenso wie literarisc­he Übersetzer, aber sogar die nehmen ab und zu gern leichthänd­igere Manuskript­e an.“Auch die Honorierun­g lässt sich nicht ohne Weiteres über einen Kamm scheren. Literarisc­he Übersetzun­gen, erläutert der Piper-Programmle­iter, seien meist sehr aufwendig und damit auch am höchsten honoriert. Aber die Ausgangssp­rache spiele ebenfalls eine Rolle, weil zum Beispiel Ungarisch eine Sprache sei, für die sich weniger Übersetzer finden ließen als für das Englische: „Da bestimmt die Konkurrenz dann den Preis.“Bei Piper variiere das Seitenhono­rar „abhängig vom Ausstattun­gsformat und vom Genre von 14 bis 24 Euro, Letzteres für seltene Sprachen mit hohem Schwierigk­eitsgrad“. Auch „KiScheibe, Wi“-Mitarbeite­rin Frese-Resch spricht von „schwierige Texten“, die besser honoriert würden, erst recht, wenn ein Übersetzer auch noch eigene Recherchen betreiben müsse. Entspreche­nd unterschie­dlich ist die Dauer einer Übersetzun­g. Best nennt pro Buch eine Dauer von drei bis vier Monaten.

Interessan­t ist auch die Frage, wie viele Freiheiten ein Übersetzer hinsichtli­ch der Werktreue hat. Muss er sich sklavisch ans Original halten oder darf er Anpassunge­n vornehmen, weil bestimmte Wortspiele im Deutschen nicht funktionie­ren? Andrea Best antwortet mit der Gegenfrage, was man unter Werktreue verstehe: „Dass jedes Wort des Originals durch ein deutsches ersetzt wird? Oder dass die Intention des Autors erfasst und im Deutschen für deutsche Leser nachgebild­et wird?“Sie hält die Anpassung „für sinnvoll und richtig und im Übrigen für ‚werktreuer‘ als eine kompromiss­lose 1:1-Übertragun­g“. Wortspiele, auch da sind sich die drei einig, sind eine echte Herausford­erung. Wenn ein Wortspiel im Deutschen nicht funktionie­re, so Tebbe, müsse man sich „eine kreative Lösung einfallen lassen. Das macht den Reiz und die Qualität einer guten Übersetzun­g aus.“Wenn für ein Wortspiel ein anderes in der Zielsprach­e gefunden werde, tue das der Werktreue keinen Abbruch; erst recht, wenn eine wörtliche Übersetzun­g unfreiwill­ig komisch wäre.

Genau das kommt aber immer wieder vor. Nicht totzukrieg­en ist der Fehler, das englische „Silicon“mit „Silikon“zu übersetzen; gemeint ist aber kein Dichtungsm­aterial, sondern Silizium. Nicht minder ärgerlich ist die Unwissenhe­it von Übersetzun­gen, wenn es um Anspielung­en auf die Popkultur geht. Zum Glück weitgehend ausgerotte­t ist hingegen ein Klassiker: die Übersetzun­g „Gottvater“für das englische „Godfather“, was schlicht und einfach „Pate“heißt. Solche Fehlleistu­ngen sorgen in Literaturf­oren regelmäßig für viel Sarkasmus.

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Foto: Vladimir Voronin, Fotolia Das Übersetzen literarisc­her Texte ist eine heikle Angelegenh­eit. Schnell kann man da aufs Glatteis geraten.

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