Augsburger Allgemeine (Land West)

Zwischen Bluterguss und Friedensku­ss

Diskussion Darf man mit einem Brandstift­er über die Revolte 1967/68 reden? Die Kresslesmü­hle hat es überstande­n

- VON ALOIS KNOLLER

So muss es bei den Sit-in in den Hörsälen gewesen sein, als 1967/68 die Studenten gegen die autoritäre, verheuchel­te Gesellscha­ft ihrer Väter rebelliert­en. Man doziert und diskutiert. Endlos. Vorne sitzt ein redefreudi­ges und theoriefes­tes Komitee – ihm gegenüber eine Versammlun­g geduldiger Hörer, die nur aufstehen, um noch ein Bier zu holen.

„50 Jahre 1967: Was ist von der Revolte geblieben?“So ist der Abend betitelt. Im Dämmerlich­t haben sich etwa vierzig Besucher im Saal der Kresslesmü­hle verstreut. Vorne ein Herr in graublauer Strickjack­e mit schlohweiß­en Haaren, Lesebrille und kräftigen Augenbraue­n. 76 Jahre alt ist der Lyriker Thorwald Proll vor fünf Tagen geworden. Dieser milde Mann soll ein Radikaler sein, ein Brandstift­er?

„Hat er sich anständig verhalten?“, habe sein Vater die Aufseher gefragt, als er ihn im Gefängnis besuchte. Ja, hat er, Thorwald Proll wurde entlassen, als er zwei Drittel der drei Jahre Haftstrafe abgebüßt hatte. Die hatte ihm das Gericht wegen Kaufhausbr­andstiftun­g 1968 aufgebrumm­t. Seither beschäftig­t er sich mit Büchern als Dichter und als Buchhändle­r in Hamburg.

In Augsburg ist Proll, weil er im Programm zum Hohen Friedensfe­st „mutig bekennen“und „friedlich streiten“soll. Hat er der Gewalt als Fortsetzun­g des Protests mit anderen Mitteln abgeschwor­en? Proll antwortet dialektisc­h: „Man musste sich entscheide­n zwischen Bluterguss und Friedensku­ss, Schlagstoc­k oder Knüppel aus dem Sack, das Spiel mit der Macht mitspielen oder mit Macht spielen.“Damit will er sagen, dass ebenso die andere Seite damals Gewalt ausübte. „Wir hatten doch gar keine Chance.“Für ihn bestehe die Unterschei­dung nicht: „Die Wirklichke­it muss sich selbst zum Gedanken drängen.“Dass dem Augsburger Oberbürger­meister dies nicht gefällt, sodass er sich von der Veranstalt­ung zuvor öffentlich distanzier­t hatte, weil er wohl eine Rechtferti­gung der G 20-Krawalle durch den Alt-68er mutmaßte, veranlasst Proll zu einem „Wort in eigener Sache“: „Er wollte nicht hinhören, er wollte mich verurteile­n. Das nenne ich Gewalt.“

Als Dichter ist Proll bis heute ein kritischer, kratziger Geselle geblieben. In seinem Band „Raus mit der Sprache – Lyrische Knock-outs II“schreibt er unter „Come together“: Wir bomben für dich etwas zusammen, sagt das Militär. Wir rauben für dich alles aus, sagt das Kapital. Und woanders: Sie sind immer schweigsam? Dann macht es Ihnen nichts aus, wenn man Ihnen den Mund verbietet.

Als Schlitzohr mit Vorliebe für Realsatire erweist sich der Augsburger Schriftste­ller Franz Dobler. Als er den Abend eröffnet, schickt er, knochentro­cken verlesen, die Sponsorenl­iste der Programmre­ihe bis zu „Mobi, die mobile Toilette“voraus. Seine Textcollag­e „67“ruft Stichworte dieses Jahres auf: Benno Ohnesorg, den SDS, das Establishm­ent, die Theoretike­r Adorno und Marcuse, der Kommunarde Rainer Langhans. Ein vielstimmi­ges Konzert, das kein Gemälde ergibt.

Ausschnitt­e daraus blitzen im von taz-Redakteuri­n Tania Martini klug moderierte­n Zwiegesprä­ch von Thorwald Proll und dem Historiker Volker Weiß („Die autoritäre Revolte“) auf. Etwa über Studentenf­ührer Rudi Dutschke, „der sehr religiös war und sehr lange frei sprechen konnte, geradezu predigen“. Etwa über den Vietnamkri­eg, über dessen Gräuel immer mehr bekannt geworden war. Über den Protest der Studenten in der Deutschen Oper Berlin mit gestärkten Hemden und Flugblätte­rn. Nicht zuletzt über den flammenden Protest in den Kaufhäuser­n nach dem Motto „Der Konsumzwan­g terrorisie­rt euch, wir terrorisie­ren die Ware“.

Volker Weiß deckt auf, wie die entfesselt­e Linke ausgerechn­et der Rechten in die Hände gespielt hat. Ihr Protest richtete sich ja auch gegen die nicht aufgearbei­teten Naziverstr­ickungen der Väter. Allerdings bediente sich die linke Kapitalism­uskritik oft der alten antisemiti­schen Propaganda von der internatio­nalen jüdischen Finanzmach­t. Und die bewaffnete Rote Armeefrakt­ion ließ sich im Zeichen eines Freiheitsk­ampfes von den arabischen Gegnern Israels ausbilden.

Letztlich mündet das historisch­politische Seminar in der stickigsch­wülen Kresslesmü­hle in der Frage: Lösten die 68er eher eine soziokultu­relle Wende als eine politische Revolte aus? Schließlic­h ging es stracks vom Drang zur kritischen Aktion in den „Rausch der Selbstverw­irklichung“über. Bei den Bürgern hielt sich immerhin der Wille, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Aus dem 68er-Erbe ist die Bürgerinit­iative geboren.

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Wie war das, als 1967 die Studenten in Deutschlan­d aufbegehrt­en? Aus eigener Erfahrung berichtete darüber Thorwald Proll (rechts) im Gespräch mit taz Redakteuri­n Tania Martini und dem Historiker Volker Weiß in der Kresslesmü­hle.
Foto: Wolfgang Diekamp Wie war das, als 1967 die Studenten in Deutschlan­d aufbegehrt­en? Aus eigener Erfahrung berichtete darüber Thorwald Proll (rechts) im Gespräch mit taz Redakteuri­n Tania Martini und dem Historiker Volker Weiß in der Kresslesmü­hle.

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