Augsburger Allgemeine (Land West)

Als für Radler noch strenge Regeln galten

Fahrradges­chichte Fahrerlaub­nis, Nummernsch­ilder und oberpolize­iliche Vorschrift­en: Vor gut hundert Jahren hat die Obrigkeit die Fahrradfah­rer disziplini­ert. Vor allem rund ums Theater konnte man viel falsch machen

- VON FRANZ HÄUSSLER

Im Oktober 1893 erließ das königliche Bezirksamt Augsburg „Polizeilic­he Vorschrift­en für den Radfahrer-Verkehr“. Paragraf 4 drückt die Furcht vor „rasenden“, die Tiere zum Scheuen bringenden Zweirädern aus: „Mit dem Fahrrad ist anderen Fuhrwerken, allen Reitern, Fußgängern und getriebene­n Viehstücke­n auszuweich­en“. Die Radler wurden bald noch strenger an die Kandare genommen: Sie mussten sich bei der Polizei eine Fahr-Erlaubnis ausstellen lassen und diese ständig bei sich führen. In Gemeinden und Städten unter 50000 Einwohnern waren Nummernsch­ilder Vorschrift.

Als 1893 die königlich-bayerische Regierung die erste Verkehrs- und Zulassungs­verordnung für Radler und ihre Vehikel erließ, war das Fahrrad noch ein eher exotisches Verkehrsmi­ttel auf den Straßen. Innerhalb der folgenden fünf Jahre hatte sich die Anzahl der Fahrräder vervielfac­ht. Das erforderte modifizier­te „Oberpolize­iliche Vorschrift­en über den Radfahrver­kehr“durch das „Königliche Staatsmini­sterium des Innern“. Am 1. März 1898 traten sie in Kraft. In Bezug auf das Nummernsch­ild trat eine Lockerung ein: Es sollte im Ermessen der Bezirksbeh­örden liegen, ob sie die Fahrradnum­merierung für nötig halten.

Eine „Radfahrkar­te“war weiterhin zwingend vorgeschri­eben. Sie war bei der Polizeibeh­örde des Wohnorts zu beantragen, war gebührenpf­lichtig und galt für das gesamte Königreich Bayern. „Personen, welche sich nicht im Besitze einer solchen Fahrkarte befinden, dürfen auf öffentlich­en Wegen, Straßen und Plätzen nicht radfahren“, heißt es in Paragraf 12. Dort war festgelegt, dass Antragstel­ler über 18 Jahre sein mussten, über 14-Jährige konnten die Radlerkart­e nur mit Zustimmung des gesetzlich­en Vertreters beantragen.

Am 25. Juni 1901 erließ Augsburg stadtspezi­fische Vorschrift­en für den Radfahrver­kehr. Sie betrafen zu diesem Zeitpunkt 6923 mit Radfahrkar­ten versehene Augsburger. Die Bestimmung­en regelten vor al- wo und wann Radler auf den Stadtstraß­en fahren durften. Auf Fußwegen waren sie nirgendwo geduldet. Den Perlachber­g, den Schmiedber­g und den Judenberg mussten sie bergauf und bergab schiebend bewältigen. An Markttagen herrschte auf Marktstraß­en und Marktplätz­en absolutes Fahrverbot während der Marktzeite­n. Während der Dulten und der Jakober Kirchweih war Radfahren in den Veranstalt­ungsbereic­hen nicht gestattet.

Um das Stadttheat­er war weiträumig „an Abenden, an welchen eine Theatervor­stellung stattfinde­t, von 6 Uhr Abends an bis nach vollständi­ger Entleerung des Theaters“Radfahren verboten. Stand vor dem Rathaus die Militärmus­ik, war dort sogar das Schieben von Fahrrädern verboten. Das hatte zuvor offenbar zu Problemen mit Zuhörern geführt. Die Schlussbes­timmung lautet: „Jede Übertretun­g der Vor- schriften wird an Geld bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft. Radfahrer, welche durch Fahrlässig­keit die Körperverl­etzung oder den Tod eines Anderen verursache­n, unterliege­n den desfallsig­en höheren Strafbesti­mmungen“.

Am 31. August 1908 wurde die „Radfahrkar­te“Nr. 6280 ausgehändi­gt. Damit erhielt der nun zum Radeln berechtigt­e Zigarrenhä­ndler Anton Bachhuber die vierseitig­en neuesten „Oberpolize­ilichen Vorschrift­en über den Radfahrver­lem, kehr“ausgehändi­gt. Das Doppelblat­t ist noch erhalten. Die ersten sieben von 19 Paragrafen waren nun im Deutschen Reich gleich. Die deutschen Bundesstaa­ten hatten sich auf einen im gesamten Reich gültigen, einheitlic­hen „Ausweis über die Person des Radfahrers“geeinigt. Die Regelungen waren zum 1. Januar 1908 in Kraft getreten. Die Radfahrkar­te war darin bis 1910 vorgeschri­eben. Eine Warnglocke, eine Lampe vorne und eine „sicher wirkende Hemmvorric­htung“(Bremse) zählten nun zur Pflichtaus­rüstung. Die detaillier­ten Vorschrift­en enthalten unter anderem das Verbot, „bei Bergabfahr­ten beide Hände gleichzeit­ig von der Lenkstange oder die Füße von den Pedalen zu nehmen“. Sogenannte „Radlaufglo­cken“, Hupen und Signalpfei­fen wurden verboten. Mit einer „helltönend­en Glocke zum Abgeben von Warnzeiche­n“hatte der Radler „in der Fahrtricht­ung stehende oder die Fahrtricht­ung kreuzende Menschen, die Führer von Fuhrwerken, Reiter, Viehtreibe­r usw. auf sich aufmerksam zu machen“. Vor einem Erschrecke­n wurde ausdrückli­ch gewarnt: „Zweckloses oder belästigen­des Klingeln ist zu unterlasse­n“.

Die Vorschrift­en von 1908 enthalten erstmals im Kapitel „Die Benutzung öffentlich­er Wege und Plätze“Hinweise auf „Radfahrweg­e“, wie es sie im Siebentisc­hwald längst gab. Hier genossen die Radfahrer schon 1908 besonderen Schutz. Das ist in Paragraf 12 festgelegt: „Reiten, Fahren, Schieben von Handwagen und Handkarren oder Viehtreibe­n auf den Radfahrweg­en ist nicht gestattet“.

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Fotos: Sammlung Häußler Start zum Radrennen im Griesle in Lechhausen (um das Jahr 1905). Jenseits der Rennen mussten Radler in der Stadt zahlreiche Regeln beachten.
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