Augsburger Allgemeine (Land West)
Als für Radler noch strenge Regeln galten
Fahrradgeschichte Fahrerlaubnis, Nummernschilder und oberpolizeiliche Vorschriften: Vor gut hundert Jahren hat die Obrigkeit die Fahrradfahrer diszipliniert. Vor allem rund ums Theater konnte man viel falsch machen
Im Oktober 1893 erließ das königliche Bezirksamt Augsburg „Polizeiliche Vorschriften für den Radfahrer-Verkehr“. Paragraf 4 drückt die Furcht vor „rasenden“, die Tiere zum Scheuen bringenden Zweirädern aus: „Mit dem Fahrrad ist anderen Fuhrwerken, allen Reitern, Fußgängern und getriebenen Viehstücken auszuweichen“. Die Radler wurden bald noch strenger an die Kandare genommen: Sie mussten sich bei der Polizei eine Fahr-Erlaubnis ausstellen lassen und diese ständig bei sich führen. In Gemeinden und Städten unter 50000 Einwohnern waren Nummernschilder Vorschrift.
Als 1893 die königlich-bayerische Regierung die erste Verkehrs- und Zulassungsverordnung für Radler und ihre Vehikel erließ, war das Fahrrad noch ein eher exotisches Verkehrsmittel auf den Straßen. Innerhalb der folgenden fünf Jahre hatte sich die Anzahl der Fahrräder vervielfacht. Das erforderte modifizierte „Oberpolizeiliche Vorschriften über den Radfahrverkehr“durch das „Königliche Staatsministerium des Innern“. Am 1. März 1898 traten sie in Kraft. In Bezug auf das Nummernschild trat eine Lockerung ein: Es sollte im Ermessen der Bezirksbehörden liegen, ob sie die Fahrradnummerierung für nötig halten.
Eine „Radfahrkarte“war weiterhin zwingend vorgeschrieben. Sie war bei der Polizeibehörde des Wohnorts zu beantragen, war gebührenpflichtig und galt für das gesamte Königreich Bayern. „Personen, welche sich nicht im Besitze einer solchen Fahrkarte befinden, dürfen auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen nicht radfahren“, heißt es in Paragraf 12. Dort war festgelegt, dass Antragsteller über 18 Jahre sein mussten, über 14-Jährige konnten die Radlerkarte nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters beantragen.
Am 25. Juni 1901 erließ Augsburg stadtspezifische Vorschriften für den Radfahrverkehr. Sie betrafen zu diesem Zeitpunkt 6923 mit Radfahrkarten versehene Augsburger. Die Bestimmungen regelten vor al- wo und wann Radler auf den Stadtstraßen fahren durften. Auf Fußwegen waren sie nirgendwo geduldet. Den Perlachberg, den Schmiedberg und den Judenberg mussten sie bergauf und bergab schiebend bewältigen. An Markttagen herrschte auf Marktstraßen und Marktplätzen absolutes Fahrverbot während der Marktzeiten. Während der Dulten und der Jakober Kirchweih war Radfahren in den Veranstaltungsbereichen nicht gestattet.
Um das Stadttheater war weiträumig „an Abenden, an welchen eine Theatervorstellung stattfindet, von 6 Uhr Abends an bis nach vollständiger Entleerung des Theaters“Radfahren verboten. Stand vor dem Rathaus die Militärmusik, war dort sogar das Schieben von Fahrrädern verboten. Das hatte zuvor offenbar zu Problemen mit Zuhörern geführt. Die Schlussbestimmung lautet: „Jede Übertretung der Vor- schriften wird an Geld bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft. Radfahrer, welche durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung oder den Tod eines Anderen verursachen, unterliegen den desfallsigen höheren Strafbestimmungen“.
Am 31. August 1908 wurde die „Radfahrkarte“Nr. 6280 ausgehändigt. Damit erhielt der nun zum Radeln berechtigte Zigarrenhändler Anton Bachhuber die vierseitigen neuesten „Oberpolizeilichen Vorschriften über den Radfahrverlem, kehr“ausgehändigt. Das Doppelblatt ist noch erhalten. Die ersten sieben von 19 Paragrafen waren nun im Deutschen Reich gleich. Die deutschen Bundesstaaten hatten sich auf einen im gesamten Reich gültigen, einheitlichen „Ausweis über die Person des Radfahrers“geeinigt. Die Regelungen waren zum 1. Januar 1908 in Kraft getreten. Die Radfahrkarte war darin bis 1910 vorgeschrieben. Eine Warnglocke, eine Lampe vorne und eine „sicher wirkende Hemmvorrichtung“(Bremse) zählten nun zur Pflichtausrüstung. Die detaillierten Vorschriften enthalten unter anderem das Verbot, „bei Bergabfahrten beide Hände gleichzeitig von der Lenkstange oder die Füße von den Pedalen zu nehmen“. Sogenannte „Radlaufglocken“, Hupen und Signalpfeifen wurden verboten. Mit einer „helltönenden Glocke zum Abgeben von Warnzeichen“hatte der Radler „in der Fahrtrichtung stehende oder die Fahrtrichtung kreuzende Menschen, die Führer von Fuhrwerken, Reiter, Viehtreiber usw. auf sich aufmerksam zu machen“. Vor einem Erschrecken wurde ausdrücklich gewarnt: „Zweckloses oder belästigendes Klingeln ist zu unterlassen“.
Die Vorschriften von 1908 enthalten erstmals im Kapitel „Die Benutzung öffentlicher Wege und Plätze“Hinweise auf „Radfahrwege“, wie es sie im Siebentischwald längst gab. Hier genossen die Radfahrer schon 1908 besonderen Schutz. Das ist in Paragraf 12 festgelegt: „Reiten, Fahren, Schieben von Handwagen und Handkarren oder Viehtreiben auf den Radfahrwegen ist nicht gestattet“.