Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Schöpfer und sein Eigentum

Debatte Das Urheberrec­ht muss dringend an die Erforderni­sse der Internetge­sellschaft angepasst werden – und stößt sich an einem Interessen­konflikt, der in der Natur der Sache liegt

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Es gibt da diese schöne Geschichte über den jungen Michelange­lo, der – als er hörte, dass seine römische Pietà einem anderen Künstler zugeschrie­ben wurde – angeblich nächtens zu Hammer und Meißel gegriffen haben soll, um seinen Namen auf der Skulptur zu verewigen. Das ist natürlich eine Legende, fest steht aber: Der Schriftzug MICHEL.A[N]GELVS BONAROTVS FLORENT[INVS] FACIEBA[T]. (Michelange­lo Buonarroti aus Florenz hat dies angefertig­t.) ist so etwas wie ein früher Urhebernac­hweis. Und das passt sehr gut in die Zeit, traten ab der Renaissanc­e (und im Gegensatz zum Mittelalte­r, wo man sich eher als anonymer Handwerker verstand) Künstler überhaupt erst als schöpferis­che Individuen, als selbstbewu­sste, kreative Urheber ihrer Werke in Erscheinun­g. Das ist bis heute so, und doch ist heute alles anders. Vielleicht nicht gerade im Falle einer Skulptur, die man ja nicht so einfach per Facebook teilen kann, so doch aber bei Fotos, Fotos von Gemälden, Musik und vor allem Texten, die in digitalen Zeiten allzu leicht und mit einem einzigen Klick kopiert und verbreitet werden können – von Plattforme­n wie Google ganz zu schweigen, die mit der Auflistung fremder Inhalte viel, viel Geld verdienen.

Das Spannungsf­eld zwischen Öffentlich­keit und Recht am Werk

Das hat zuletzt auch die Politik auf den Plan gerufen, einmal auf europäisch­er (siehe Interview), einmal auf nationaler Ebene, wo kurz vor der Sommerpaus­e noch schnell ein entspreche­ndes Gesetz verabschie­det wurde. Vorausgega­ngen war ein von der Öffentlich­keit weitgehend unbemerkte­r Streit um einzelne Passagen, die – ohne in ermüdende Details gehen zu wollen – beispielsw­eise Presse- und Wissenscha­ftsverlage durch eine weitgehend­e Freigabe von deren Inhalten (samt pauschaler Entschädig­ung nach dem Gießkannen­prinzip) stark in Bedrängnis gebracht hätten. Die Folge: Das Gesetz wurde erst einmal entschärft und überdies auf fünf Jahre begrenzt, danach soll evaluiert werden, wie das so schön heißt.

Der Hintergrun­d der Auseinande­rsetzung ist dabei ein Spannungsf­eld, in dem künstleris­che und intellektu­elle Leistungen per Definition seit je angesiedel­t sind – das zwischen Öffentlich­keit (eine Pietà will ja beispielsw­eise auch bewundert, ein Text gelesen werden) und dem Recht des Künstlers oder Autors am eigenen Werk (auch ein Michelange­lo braucht schließlic­h genauso was zu essen wie ein ganz normaler Journalist). Dieses Dilemma brachte angesichts der von ihm angestoßen­en, ersten internatio­nalen Urheberrec­htsregelun­g, nämlich der Berner Übereinkun­ft aus dem Jahr 1886, der Schriftste­ller Victor Hugo auf den Punkt: „Das Buch als Buch gehört dem Autor, aber als Gedanke gehört es – der Begriff ist keinestonn­enschweren wegs zu mächtig – der Menschheit. Jeder denkende Mensch hat ein Recht darauf.“Zwei Rechte kollidiere­n da also, und es allen recht zu machen ist so besehen fast nicht möglich. Immerhin herrschte aber die letzten Jahrzehnte ein beide Seiten befriedige­nder Kompromiss – bis der Interessen­konflikt in der globalen Internetge­sellschaft erst richtig ausbrach. Und immer noch einer Lösung harrt.

Denn es hört sich ja auch erst einmal ziemlich schick und edel an, freien Zugang zum Weltwissen, die Teilhabe an Inhalten für jedermann zu fordern (und ansonsten Diskrimini­erung und Zensur zu brüllen). So langsam dämmert es aber auch, dass diese Inhalte irgendwohe­r kommen müssen. Dass es nicht reicht, wenn irgendjema­nd irgendwas irgendwo hochladen kann. Dass Qualität bestimmte Bedingunge­n braucht, um überhaupt entstehen zu können. Weil: ein Block noch so feinsten Marmors bleibt ansonsten auch nur – ein Block Marmor.

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Foto: Imago/AZ Varianten eines Meisterwer­ks: die römische Pietà von Michelange­lo.

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