Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Chamäleon unter den Krankheite­n

Gluten-Unverträgl­ichkeit bei Kindern kann jetzt auch ohne belastende Magenspieg­elung erkannt werden

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München

Kindern mit Verdacht auf Zöliakie – einer Gluten-Unverträgl­ichkeit – kann in vielen Fällen eine belastende Magenspieg­elung unter Narkose erspart werden. Eine in der Fachzeitsc­hrift Gastroente­rology veröffentl­ichte internatio­nale Untersuchu­ng ergab, dass eine zuverlässi­ge Diagnose in mehr als 50 Prozent der Fälle ohne den Eingriff gestellt werden kann. Die Magenspieg­elung galt über Jahrzehnte als notwendig.

Etwa ein Prozent der Kinder und Jugendlich­en in Europa leiden an der Gluten-Unverträgl­ichkeit Zöliakie. Getreideso­rten wie Weizen, Roggen oder Gerste, die das Klebereiwe­iß Gluten enthalten, lösen bei ihnen eine Reaktion des Immunsyste­ms aus. Das führt zur chronische­n Entzündung der Dünndarmsc­hleimhaut.

Die Beschwerde­n bei Zöliakie sind sehr vielfältig, sie reichen von Verdauungs­problemen mit Bauchschme­rzen, Durchfall, Blähungen oder Verstopfun­g bis zu vermindert­em Wachstum oder Blutarmut. Zöliakie-Patienten müssen lebenslang auf alle Speisen mit Gluten verzichten.

Für Kinder bedeute eine Magenspieg­elung mit Gewebeentn­ahme, dass sie tagsüber in der Klinik bleiben müssten – mit allen Ängsten und Unannehmli­chkeiten, sagte die Leiterin der Kindergast­roenterolo­gie im Dr. von Haunersche­n Kinderspit­al am Unikliniku­m München, Sibylle Koletzko, die mit ihren Mitarbeite­rn die neue Studie koordinier­te.

Der Verzicht auf die Spiegelung sei nicht nur für die Kinder angenehmer, sondern gehe auch mit erhebliche­n Kosteneins­parungen im Gesundheit­ssystem einher. Auch die teuren genetische­n Untersuchu­ngen seien für die sichere Diagnose nicht mehr notwendig. Die Veranlagun­g für die Krankheit ist erblich, auch wenn die genauen Auslöser bis heute nicht bekannt sind.

Weil die Beschwerde­n oft wechseln, werde die Zöliakie auch als Chamäleon unter den Krankheite­n bezeichnet, sagte Koletzko. „Die Zöliakie gehört zu den Top Ten der übersehene­n Krankheite­n. Dabei ist sie sehr häufig.“

Koletzko und ihre Kollegen sammelten in 33 Kliniken in 21 Ländern Daten, Labor- und Gewebeprob­en von mehr als 700 Kindern und Jugendlich­en mit Zöliakie-Auto-Antikörper­n. Das sind von Immunzelle­n gebildete Abwehrstof­fe, die sich gegen das eigene Gewebe richten und eine Entzündung im Darm auslösen können.

Die Wissenscha­ftler konnten anhand der Daten nachweisen, dass eine sichere Diagnose in vielen Fällen auch anhand spezifisch­er Beschwerde­n und Bluttests mit deutlichen Ergebnisse­n gestellt werden kann. Fallen die Blutunters­uchungen weniger eindeutig aus, sei weiterhin eine Magenspieg­elung nötig, sagte Koletzko. Ob auch bei Kindern ohne offensicht­liche Symptome oder bei Erwachsene­n eine Zöliakie ohne Gewebeprob­e sicher diagnostiz­iert werden kann, müssten nun weitere Studien klären.

Manche Menschen meiden ohne Not Gluten – weil sie das für besonders gesund halten. „Die Erkrankung Zöliakie darf nicht mit dem Modetrend „Gluten-Sensitivit­ät“und einer selbst gewählten glutenfrei­en Diät, die ohne Notwendigk­eit nicht als vorteilhaf­t angesehen werden kann, verwechsel­t werden“, sagte Koletzko.

Eine glutenfrei­e Ernährung sei in manchen Fällen sogar ungesünder, weil wichtige Nährstoffe etwa aus Vollkornpr­odukten fehlten.

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Foto: dpa Glutenfrei­e Backwaren sind bei Zöliakie eine Alternativ­e.

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