Augsburger Allgemeine (Land West)

Palmer provoziert die Grünen

Tübinger OB schreibt Buch zur Integratio­n

- VON MARTIN FERBER

Berlin

Alles begann mit einem Eintrag auf Facebook. Am 16. Oktober 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle, als täglich mehrere tausend Menschen ungehinder­t und unkontroll­iert nach Deutschlan­d kamen, schrieb Boris Palmer, Oberbürger­meister der Universitä­tsstadt Tübingen und GrünenMitg­lied seit 1996, in dem sozialen Netzwerk: „Wir schaffen das nicht. Über eine Million Flüchtling­e in einem Jahr kann man noch reden. Über 10000 Flüchtling­e pro Tag kann man nicht mehr reden.“

Die Botschaft löste einen Sturm der Entrüstung aus – vor allem in der eigenen Partei. Dort war zu diesem Zeitpunkt noch die Freude über die Zuwanderun­g und Hilfsberei­tschaft der Deutschen groß. Über Boris Palmer hingegen, der nicht mehr wusste, wo er die Flüchtling­e unterbring­en soll, ging ein Proteststu­rm nieder, der wegen seiner kritischen Position in der Flüchtling­sfrage bis zum heutigen Tag anhält.

Nun hat der 45-Jährige, der sein Image als Querkopf und Rebell pflegt, nachgelegt und ein Buch zur Flüchtling­skrise veröffentl­icht, das die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner gestern in Berlin vorstellte. Und schon der Titel ist für manche in der eigenen Partei eine Zumutung: „Wir können nicht allen helfen“(Siedler-Verlag, Berlin, 18 Euro). Auf 256 Seiten breitet der Kommunalpo­litiker, der seit zehn Jahren in der Stadt am Neckar regiert, seine Gedanken über die Grenzen der Belastbark­eit und die Herausford­erungen der Integratio­n aus. Offen und ehrlich spricht er dabei die Probleme an und warnt vor beiden Extremen – der Negierung der Probleme wie der Übertreibu­ng der Probleme. Die Rechten müssten endlich akzeptiere­n, dass es Zuwanderun­g gibt und Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland ist, die Linken müssten akzeptiere­n, dass es Abschiebun­gen gibt und nicht jeder bleiben kann, so Palmer. Gleichzeit­ig fordert er aber auch mehr Flexibilit­ät: „Wir schieben die Falschen ab und behalten die Falschen: Wer gut integriert ist und einen Job hat, aber aus dem falschen Land kommt, muss gehen, wer kriminell ist, aber aus dem richtigen Land kommt, darf bleiben. Das versteht vor Ort kein Mensch.“

Die Kritik aus den eigenen Reihen kommt prompt. Palmer habe von dem Thema Flüchtling­e „keine Ahnung“und solle „dazu schweigen“, sagt die Berliner Grüne Canan Bayram. Palmer selbst, die Kritik an sich und seinen Positionen gewohnt, nimmt es gelassen. Es zeichne vielmehr die Grünen aus, dass sie so „großzügig“seien – „beim Beschimpfe­n, aber letztlich im Aushalten von solchen Widersprüc­hen und Querköpfen“. Und auch über Facebook will er sich weiter äußern, spontan, direkt, ungeschmin­kt.

Parteifreu­nde entsetzt über seine Thesen zur Migration

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Foto: Schmidt, dpa Der Grünen Politiker Boris Palmer eckt in seiner Partei an.

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