Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein später Kniefall vor dem Vater
Augsburger Jazzsommer Joshua Redman hat seit 1993 eine atemberaubende Karriere gemacht. Eine ganze Musikrichtung sollte er vor dem Untergang retten. Es hat lange gedauert, bis er seinen Vater Dewey kennengelernt hat
Träumen darf man ja noch. Von besseren Zeiten. Oder von den guten alten Zeiten. Von einer Welt, in der es keine Grenzen gibt, weder geografisch noch musikalisch. In der keiner mehr auf ein „Jazzkonzert“geht, sondern nur noch dorthin, wo gute Musik erklingt. Manche träumen auch von verpassten Gelegenheiten, von der Chance, das Schicksal in eine andere Richtung zu lenken.
Joshua Redman, einer der wichtigsten Saxofonisten des Globus, ein smarter Gentleman, gut aussehend, seit Beginn seiner atemberaubenden Karriere 1993 mit dem Nimbus eines Messias ausgestattet, der eine ganze Musikrichtung vor dem Untergang retten sollte, dieser Joshua will posthum sein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater Dewey Redman restaurieren. Der galt als Ikone der Avantgarde-Bewegung. Während Daddy in Downtown New York von einem Klangabenteuer zum nächsten hetzte, wuchs Joshua behütet in einer jüdisch-dogmatischen Hippiebude an der Westküste auf. Die Mutter hielt den Namen des Erzeugers lange unter Verschluss. Manchmal war der Alte verbittert darüber und nannte sich in Interviews lakonisch „Joshua Redman senior“. Erst später, recht viel später lernten sich beide kennen, begannen, ganz langsam eine Beziehung zueinander aufzubauen. Doch die Zeit war zu kurz, um Versäumtes nachzuholen. Dewey Redman starb 2006.
Dass Joshua Redman nun sein neues Projekt „Still Dreaming“, mit dem er im Rahmen des Augsburger Jazzsommers im Botanischen Garten gastierte, der Musik seines Vaters widmet, ist ein später Kniefall vor dessen Genialität. Eine Reminiszenz an die wunderbare Band „Old and New Dreams“mit Dewey, Charlie Haden, Don Cherry und Ed Blackwell, die von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre den in einzelne Unterstile zerbröselnden Jazz auf ebenso dynamische wie unverfängliche Weise zu einen verstand. Nun verleiht der Sohn den unvollendeten Träumen seines Vaters neues Leben.
Die Musiker, die jetzt in Augsburg auf der Bühne stehen, sind alle um die 50, wie damals ihre träumenden Vorbilder, und schlüpfen in deren Rollen, ohne sie dabei zu kopieren. Ron Miles mit seinem eleganten Anzug und seinem dunklen Kornett-Ton agiert gefühlte Lichtjahre vom vogelfreien Kosmopoliten Don Cherry entfernt. Ebenso wie Schlagzeuger Brian Blade, der trotz seiner wuchtigen Vielseitigkeit wenig mit dem wirbelnd-virilen Ed Blackwell gemein hat. Am ehesten trifft noch Bassist Scott Colley, der „Old and New Dreams“zu seinen wegweisenden Inspirationen zählt, mit seiner singend-fließenden Linienführung den Ansatz des Originals. Redman junior war schon immer ein wesentlich feinerer, leichterer, vielseitigerer und technisch ausgebuffterer Tenorsaxofonist als der raue, mit allen Wassern des Blues gewaschene Senior.
Dennoch spielen sie nun die Songs von damals: Ornette Colemans „Lonely Woman“, Ed Blackwells „Togo“oder „Dewey’s Tune“, aber auch neue eigene Kompositionen. Und in einigen wenigen Phasen schimmert dieser unbedingte Wille, die Musik von ihren dogmatischen Fesseln zu befreien, auch 2017 im Botanischen Garten wieder durch.
Das Quartett kennt sich und agiert unbefangen, lyrisch, fragil und dabei dennoch erstaunlich kraftvoll, manchmal vielleicht ein wenig starr in den Rollen verhaftet. Die etwas zu kurz geratenen Stücke, in denen man sich mehr Ausbrüche aus der sicheren Umlaufbahn gewünscht hätte, mutieren unmerklich von der freien Form in einen verschwommenen Bebop-Modus und wieder zurück. Es klingt, als würden die vier sämtliche gespielten Noten durch eine Zeitmaschine schicken.
Dennoch sind Redman, Miles, Colley und Blade keine Coverband, die eine nette Idee aus der Blütezeit des Jazz aufwärmt, sondern Nachfahren, die die zentrale Botschaft ihrer geistigen und biologischen Väter in die Gegenwart tragen: Hör nie auf zu träumen!