Augsburger Allgemeine (Land West)

Füße oben, Kopf unten

Ausstellun­g Georg Baselitz ist nicht zum ersten Mal im Glaspalast. Jetzt ist er mit Grafiken der Jahre 1972 bis 2017 zurückgeke­hrt. Das jüngste Werk ehrt einen japanische­n Meister

- VON GÜNTER OTT

Zehn Jahre ist es her, dass Georg Baselitz mit Papier-Arbeiten (1960 – 1998) und Grafiken (2006/2007) in der Galerie Noah im Glaspalast vertreten war. Nun ist er zurückgeke­hrt, in kleinerem Rahmen und ausschließ­lich mit Druckgrafi­ken der Jahre 1972 bis 2017. Das sieht aufs Erste nach dem großen Überblick aus, ist aber mit genau 54 Blättern eine konzentrie­rte Sicht auf einzelne ausgewählt­e Blöcke. Die Werke stammen aus dem Besitz der zumal in der Grafik bestens ausgewiese­nen Münchner Galerie Sabine Knust.

Den Gesamtblic­k auf die Druckgrafi­k von Baselitz könnte allein des Umfangs wegen wohl keine Einzelauss­tellung leisten. Eine gründliche Annäherung bot allerdings vor einem Jahr das Schloss Dachau mit 230 Arbeiten von 1995 bis 2015. Der entspreche­nde, grundlegen­de Katalog liegt in der Galerie Noah auf.

Georg Baselitz, mittlerwei­le 79 Jahre alt, wechselwei­se am Ammersee, aber auch in Salzburg, Basel und im ligurische­n Imperia lebend und schaffend, widmet sich der Druckgrafi­k seit 1964, hier vor allem der

Was einst nicht mehr als 30, 40 Mark kostete!

Radierung (in Farbe, kombiniert mit Kaltnadel), aber auch dem Holz- und Linolschni­tt sowie der Aquatinta (mit Strichätzu­ng). Dabei ist der Künstler sein eigener Herr. Erst wenn die Blätter in Auflage gehen, arbeitet er mit zwei Druckern zusammen. Wenn man heutige Sammler provoziere­n wollte, könnte man ihnen die Preise von ehedem vorhalten. Die ersten Baselitz-Grafiken kosteten Mitte der 1960er Jahre nicht mehr als 30 bis 40 Mark. Doch verkauft wurde seinerzeit so gut wie keine. Heutzutage muss man für die Werke je nach Größe und Auflage im Schnitt 3000 Euro und viel mehr hinlegen.

Ein Drittel der jetzt in der Galerie Noah hängenden Originaldr­ucke war bereits in der Dachauer Schau zu sehen. Gleichwohl sei der Besuch der von Wilma Sedelmeier organisier­ten Ausstellun­g im Glaspalast sehr empfohlen, insbesonde­re der Werkblöcke wegen. Wie wandelt sich ein Motiv? Ist überhaupt eines zu erkennen? Wie wird es eingelasse­n in ein Muster von Punkten und Flecken oder, wie bei der Radierseri­e „o. T.“von 1991, in ein ornamental­es Fallnetz eingefloch­ten? Die einzelnen Folgen dienen dem Künstler ja nicht dazu, so etwas wie einen Fortschrit­t zu erzielen, sondern, getrieben von der eigenständ­igen künstleris­chen Ambition und emotionale­n Motorik, immer weiter zu suchen. Diese Suche ist Ausdruck des Widerstand­s und Widerstrei­ts, mit einem Wort: der Schöpfung. Baselitz geht es nie um das „schöne Bild“. Seine Blätter muten oft ungelenk und ungefügt an, sie tasten sich durch Weißfläche­n vor und brechen ab, beruhigen sich nicht in gewohnten Perspektiv­en und Proportion­en. Gesucht werden destabilis­ierende Umkehreffe­kte, wechselnde Tonwerte, das abrupte Gegeneinan­der von Innen und Außen, das fragile Ineinander von Figur und Grund. So wird ein Motiv wie das von Ringen umschlosse­ne Holzbündel („Winterschl­af“, 2014) immer neu projiziert.

Das Was tritt, wie so oft in der Kunst, hinter das Wie zurück oder anders gesagt: das Abbild hinter das Bild. Deswegen stellt Baselitz seit 1969 Figuren und Motive auf den Kopf und vermag bis auf den Tag zu irritieren, weil unser gewohnter Blick so sehr an der Gegenständ­lichkeit und der Oben-Unten-Achse festhält. Aber was heißt denn eigentlich oben und unten, wenn man auf einer sich drehenden Erdkugel lebt?

Das erste Werk, das Baselitz verkehrte, war „Der Wald auf dem Kopf“. Daran erinnert in dieser Ausstellun­g die Radierung „Birken“

Ein Liebesakt, Schlüssell­och inklusive

von 1972, ein Landschaft­sblock, der bei näherem Hinsehen hinter Schraffen und Kringeln zurücktrit­t. Dass bei diesem Künstler die Verbindung eher nach unten als nach oben geht, führt unter anderem zu dem schönen Paradox, dass eben auch zwei Füße kopfstehen („Zelt“, 1995/96).

Mit welcher Anmut durch diese Kipplage, die Baselitz als seine „persönlich­e Renitenz“bezeichnet, ein Liebespaar in die Schwebe gehoben wird und als feiner weißer Umriss aus dem Schwarz des Linolschni­tts ersteht, zeigt „Das Modell des Balthus“(2002) mit einem Ballett der Füße und einem kreisrunde­n, weißen Punkt, der, anspielend auf das Schlüssell­och, die Sicht auf das Entscheide­nde dieses Liebesakts gerade verwehrt.

Zu einem weiteren Höhepunkt zählen die Strichätzu­ngen (mit Aquatinta) von 2017, eine Reverenz an Hokusai, den Meister des japanische­n Farbholzsc­hnitts. Er wird, frei nach seinem Selbstport­rät, unter anderem konfrontie­rt mit einer kopfstehen­den, aber fast kopflosen Figur, die im Schwarz und Weiß nur noch in zarter Zerbrechli­chkeit erscheint. O

Ausstellun­g Georg Baselitz mit Radierunge­n sowie Holz und Linol schnitten in der Galerie Noah/Glaspalast bis zum 10. September; geöffnet Dienstag bis Donnerstag 11 bis 15, Freitag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Katalog und Bücher liegen auf.

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Fotos: Ulrich Wagner Der kopfstehen­de Kopf hinter Strich und Punkt (1991); Gewichtsve­rschiebung­en in der Folge „Winterschl­af“(2014); Köpfe mit „Zero“Mütze (2014), erinnernd an ein Werbegesch­enk der gleichnami­gen Firma für Malereibed­arf.

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