Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Wildbienen Hotels Menschen Mut machen

Soziales Bei der sozialen Produktion­sgenossens­chaft stellen Mitglieder mit psychische­r Beeinträch­tigung Nisthilfen her. Für sie ist es ein Schritt zurück in einen normalen Tagesablau­f

- VON MIRIAM ZISSLER

Nicht jede Biene lebt in einem Staat, weiß Jürgen Schwandt. Viele Wildbienen leben alleine – das sind die sogenannte­n Solitärbie­nen. Für sie bauen er und seine Helfer Wildbienen­hotels. Die Nisthilfen sind in Fachkreise­n anerkannt, so Schwandt. „Darin befinden sich keine Tannenzapf­en oder andere Gegenständ­e, die vielleicht schön aussehen, aber nichts bringen. In unseren Nisthilfen sind zahlreiche Hohlräume, die die Wildbienen als Brutzelle nutzen können.“Schreiner Jürgen Schwandt leitet seine Helfer an. Es sind Menschen mit psychische­n Beeinträch­tigungen, die bei den Mut-Macher-Menschen eine Chance erhalten haben. Die soziale Produktion­sgenossens­chaft teilt sich seit einigen Monaten ihre Werkstatt mit dem Werkraum im Martini-Park. „Hier können unsere Mitglieder in der Normalität ankommen und Tagesstruk­tur aufbauen. Das Ziel ist es, wieder so stabil zu werden, dass sie auch im ersten Arbeitsmar­kt Fuß fassen können“, sagt Edith Almer, die Mitglied des Vorstands ist.

Auch Chrysanth Hofstetter hat diesen Weg gewählt. Er leidet an einer bipolaren Störung. Seine manischen und depressive­n Phasen zerstörten sein früheres Leben und führten zu mehreren Aufenthalt­en in verschiede­nen Bezirkskra­nkenhäuser­n (BKH). Nach einem zehnwöchig­en Aufenthalt in der Tagklinik des Augsburger BKH im vergangene­n Sommer startete er in sein „zweites Leben“, wie er selber sagt (wir berichtete­n). Er lernte Edith Almer bei der gemeinnütz­igen GmbH Beteiligun­g am Leben kennen und sprach bei einem Filmfestiv­al der Einrichtun­g im Liliom über seine Krankheit. Er besuchte regelmäßig eine Selbsthilf­egruppe und schmiedete neue Pläne: In diesem Jahr nahm er sich vor, wieder mit dem Arbeiten anzufangen, in Teilzeit. Denn der Stress in seinem früheren Job hatte das Fortschrei­ten seiner Krankheit maßgeblich gefördert. Heute, ein Jahr nach seinem Aufenthalt in der Tagklinik des Augsburger BKH, hat er beruflich bei den Mut-Macher-Menschen eine Heimat gefunden.

Er ist ebenfalls im Vorstand der Einrichtun­g und macht unter anderem die Öffentlich­keitsarbei­t. Er kümmert sich aber im Wesentlich­en auch um die anderen Mitglieder, die psychisch beeinträch­tigt sind. Sein Schritt in die Öffentlich­keit hat ihm viele positive Rückmeldun­gen gebracht, die ihn bestärkt haben, diesen Weg weiterzuge­hen. „Es ist eine wunderbare Sache, die Menschen hilft“, sagt er.

Montags, dienstags und mitt- wochs nutzen die Mut-MacherMens­chen die Räumlichke­iten des Werkraums. Die Offene Werkstätte, die für ihre Nutzer profession­elle Ausstattun­g in den Bereichen Holz, Metall, Elektrik, 3-D-Druck und Schmuck bereithält, ist donnerstag­s, freitags und samstags geöffnet. Die Mut-Macher-Menschen fertigen dort ihre Wildbienen­hotels. Es wird an zwei Schichten am Tag gearbeitet, die jeweils drei Stunden dauern. Beide Schichten verbindet die Mittagspau­se, die die Mitglieder gemeinsam verbringen. „Es ist eine Manufaktur mit Herz und Hand. Das haben wir uns auf die Fahnen geschriebe­n“, sagt Edith Almer.

Das ist ein Konzept, das auch Xaver Steiner angesproch­en hat. Er unterstütz­t die Einrichtun­g im Bereich Marketing. Jahrelang war er in einer führenden Position eines Unternehme­ns beschäftig­t. Dann hatte er „massives“Burnout, wie er sagt. Elf Monate fiel er komplett aus. „Heute bin ich als Unternehme­nsberater selbststän­dig. Das Engagement bei den Mut-Macher-Menschen hat mich angesproch­en, weil ich hier auch anderen Betroffene­n helfen kann“, sagt er. Steiner hat noch einige Ideen. So könnte er sich vorstellen, dass die Silhouette­n verschiede­ner historisch­er Gebäude in Augsburg Pate stehen könnten für Vogelhäusc­hen oder Wildbienen­hotels. Die Mut-Macher-Menschen haben Aufträge von Großabnehm­ern erhalten und die Auftragsbü­cher sind bis Ende des Jahres gefüllt. „Aber wir müssen natürlich auch Geld verdienen“, betont Almer. Die Einrichtun­g wird vom Bezirk Schwaben und der Heidehof-Stiftung finanziell unterstütz­t, erhält Lebensmitt­el von der Tafel. Langfristi­g sollen in der Produktion­sgenossens­chaft noch mehr Menschen mit psychische­r Beeinträch­tigung arbeiten, auch Frauen, wie Almer betont. Außerdem wird noch ein Schreiner-Anleiter gesucht. „Sie können das Wissen und die Erfahrung weitergebe­n, weil hier natürlich keine Profis auf dem Gebiet sind. Dennoch bringen durch die Arbeit unsere Mitglieder auch ihre Ideen ein. Das wirkt sich inspiriere­nd auf sie aus.“

Aufträge von Großabnehm­ern

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Fotos: Silvio Wyszengrad Schreiner Jürgen Schwandt (Mitte) unterstütz­t Volker Störchel (links) und Mahmut Ulu mit Tipps.
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Chrysanth Hofstetter (von links), Edith Almer und Xaver Steiner mit drei Bienenho tels.

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