Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Notaufnahme für die kranke Seele
Medizin Ein Grund, um den Irakkrieg 2003 zu rechtfertigen Immer wieder werden Straftaten vorgetäuscht. Prof. Manuela Dudeck erklärt, welche Ursachen das frühere „Münchhausen-Syndrom“haben kann
Schwabmünchen
Die Reaktionen auf unseren Artikel über die vorgetäuschte Farbattacke einer 29-Jährigen sprachen für sich. „Hoffentlich wird ihr geholfen“, schrieb beispielsweise eine Userin auf Facebook. Und auch andere sprachen in dem sozialen Netzwerk davon, dass diese Aktion der jungen Frau eine Art Hilferuf gewesen sein muss. Schließlich habe sie nach eigener Aussage den Tod einer Kollegin nicht verkraftet und zudem Beziehungsprobleme gehabt. Doch nicht nur die Schwabmünchnerin hat offenbar versucht, durch falsche Anzeigen Aufmerksamkeit zu erregen.
Ähnliches hat es etwa beim früheren FC-Bayern-Spieler Breno gegeben, der 2011 seine Villa in München angezündet hat. Auch der ehemalige U-19-Europameister von 2008 Savio Nsereko hat damals in Pattaya seine eigene Entführung lediglich vorgetäuscht. Und Anfang Juni wurde in Sachsen-Anhalt ein 16-Jähriger aus Afghanistan verhaftet, der einen Messerangriff erfand, sich die Schnittverletzungen aber selbst zugefügt hat. Es kommt also immer wieder vor, dass Menschen Straftaten vortäuschen. Doch was sind die Hintergründe? Professorin Manuela Dudeck kennt sich mit dieser Thematik bestens aus. Sie ist die Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses Günzburg und hat einen Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Ulm. „Der prominenteste Fall dürfte sicherlich der des Irakers Rafed Aljanabi sein“, sagt Dudeck. Unter dem Decknamen „Curveball“erzählte er 1999 dem Deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), dass der Irak Massenvernichtungswaffen herstelle. Diese ungeprüften – und falschen – Aussagen war letztendlich mit ein Grund, um den Irakkrieg 2003 zu rechtfertigen.
„Bereits 1951 beschrieb Richard Asher diese psychische Störung und nannte sie das ,Münchhausen-Syndrom‘“, erklärt Dudeck. In den 1980er-Jahren sprach man erstmals von einer „psychischen Störung“, heute wird das absichtliche Erzeugen oder Vortäuschen von körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen als eine „artifizielle Störung“bezeichnet. Doch warum täuschen Menschen immer wieder Straftaten vor? Dudeck geht davon aus, dass dies meist mit dem Verlust eines Menschen einhergeht, der einem zuvor Stabilität gegeben hat. Hintergrund für die eigene Unsicherheit könne sein, dass es bereits in der Kindheit zu traumatischen Handlungen gekommen sein könnte. „Stirbt dann plötzlich die Bezugsperson, fühlen sich die Betroffenen einsam“, sagt Dudeck. Um diese Leere zu kompensieren, wird jemand gesucht, der sich um einen kümmert. „Dies kann dann etwa auch die Polizei sein, die immer wieder nachfragt, für einen da ist und sich auch ein Stück Sorgen macht.“
Zwar gebe es weltweit lediglich 3000 registrierte Fälle, Dudeck vermutet aber ein großes Dunkelfeld. Mittlerweile sei jedoch vor allem in größeren Städten die Polizei mit diesem Thema vertraut und ziehe bei Vernehmungen auch immer wieder eine psychische Störung in Erwägung. Erste Warnhinweise auf diese Form der Erkrankung, könne beispielsweise sein, wie der Betroffene mit Kritik umgehe. „Oft ist es so, dass diese Person dann viel zu emotional reagiert“, sagt Dudeck. Dies könne sich beispielsweise darin äußern, dass der Kritisierte in Tränen ausbreche oder unangemessen wütend reagiere. Nach Auskunft der Professorin sind die psychischen Störungen jedoch gut zu therapieren. Voraussetzung sei jedoch, dass sich der Betroffene möglichst schnell professionelle Hilfe hole. „Sollte ein Platz etwa für eine Verhaltenstherapie kurzfristig nicht verfügbar sein, empfiehlt es sich, eine poliklinische Institutsambulanz aufzusuchen“, rät Dudeck. Diese gebe es an jedem Bezirkskrankenhaus und sei vergleichbar mit einer Notaufnahme für seelische Erkrankungen. O
Kontakt Zuständig für den Landkreis Augsburg sind die Bezirkskliniken Schwaben. Das Bezirkskrankenhaus Kauf beuren ist telefonisch erreichbar unter der Nummer 08341/72 0.