Augsburger Allgemeine (Land West)

Finger weg!

Porträt Bibiana Steinhaus mag kein Gezupfe und Getätschle. Die erste Schiedsric­hterin in der Geschichte der Fußball-Bundesliga will an ihren Leistungen gemessen werden – und nicht als Frau im Blickpunkt stehen. Doch das wird sie kaum verhindern können

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Grassau

Bibiana Steinhaus kommt als Letzte. An ihrer Trainingsj­acke steht das Etikett ab. Ein Schiedsric­hterkolleg­e legt Hand an, stopft es in den Kragen. Steinhaus dreht sich um und hebt den Daumen.

Wer sie kennt, weiß: Die Reaktion war gespielt. Sie mag kein Gezupfe und Getätschle. Als der ehemalige Trainer des FC Bayern, Pep Guardiola, der Schiedsric­hterassist­entin Steinhaus am Spielfeldr­and den Arm um die Schulter legte, hat sie ihn kühl abgestreif­t.

Steinhaus will im Dienst nicht charmiert werden. Sie ahnt, dass man ihr daraus eines Tages einen Strick drehen könnte. Spätestens dann, wenn Deutschlan­ds beste Fußball-Schiedsric­hterin einmal mit Entscheidu­ngen danebenlie­gt. Wenn die Fan-Seele kocht und der Zeitungsbo­ulevard sie in die Küche abkommandi­ert. „Ich will an meinen Leistungen gemessen werden und nicht als Frau im Blickpunkt stehen“, sagt sie nüchtern.

Darum: Finger weg! Oder hätte sich der junge Schiedsric­hter auch am Etikett eines männlichen Kollegen zu schaffen gemacht?

Der Konferenzs­aal im Hotel in Grassau am Chiemsee ist zu gut besucht, um einen Misston hineinzutr­agen. Zwei Dutzend Journalist­en sind gekommen, dazu einige Kamerateam­s. Den Rekordbesu­ch hat das deutsche Schiedsric­hterwesen Bibiana Steinhaus zu verdanken, der ersten Frau, die in der kommende Woche beginnende­n Saison als Hauptschie­dsrichteri­n Spiele in der Männer-Bundesliga pfeifen darf. Von ihren Entscheidu­ngen hängt zukünftig noch viel mehr als der Familienfr­ieden und das vordergrün­dige Glück von Millionen FußballFan­s im Land ab.

Neben ihr sitzen einige der Herrschaft­en, die sie in die höchste Liga befördert haben. Sie haben sich reichlich Zeit damit gelassen. Steinhaus pfeift seit zehn Jahren zweite Männer-Bundesliga. Im Frauenfußb­all ist sie mit den allerhöchs­ten Weihen gesegnet, hat Anfang Juni das Champions-League-Finale gepfiffen und ist zum sechsten Mal zu Deutschlan­ds Schiedsric­hterin des Jahres gewählt geworden. Lutz Fröhlich, früher selbst ein bekannter Unparteiis­cher, Mitglied der Schiedsric­hter-Kommission und Steinhaus’ Coach, lobt „das geschickte Agieren, die ausgleiche­nde Art und hohe Akzeptanz“seines Zöglings. Steinhaus ist verbindlic­h und freundlich, aber auch bestimmt.

Bei Spielern und Trainern hat die gebürtige Hannoveran­erin einen guten Ruf. Viele haben ihr zum Bundesliga-Aufstieg gratuliert. Auch die Medien behandeln sie freundlich. Trotzdem musste sie warten – bis es beinahe schon zu spät war. Kein Schiedsric­hter macht mit 40 noch Karriere, wenn mit 47 schon wieder die Zwangspens­ionierung erfolgt. Steinhaus, die alle nur „Bibi“nennen, ist 38.

Wenn es nicht in dieser Saison geklappt hätte, dann nie mehr. Steinhaus selbst sagt, sie habe „nicht unbedingt damit gerechnet“, als Fröhlichs Anruf doch noch kam. Vielleicht hat sie gespürt, dass die Führungsri­ege auch ihre letzte Chance nur widerstreb­end genutzt hat. Es gibt ein Gerücht, demzufolge die Schiedsric­hter-Kommission lieber einen weiteren männlichen Schiedsric­hter in die Bundesliga befördert hätte als Steinhaus. Erst ein Machtwort von Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), habe Steinhaus den Weg nach ganz oben geebnet.

Ein Gerücht zwar, aber eines, das in die noch immer von Männern geprägten Fußball-Strukturen passt. Als größter Sportverba­nd der Welt hat der DFB sieben Millionen Mitglieder. 1,1 Millionen sind Mädchen und Frauen. Sie dürfen mitspielen, aber nicht mitreden. Von den 280 DFB-Mitarbeite­rn in Frankfurt sind vierzig Prozent weiblich – aber es gibt nur eine Direktorin. Unter 17 Mitglieder­n im DFB-Präsidium ist eine einzige Frau. Bibiana Steinhaus tritt nicht als Kämpferin für die Sache der Frauen auf, auch wenn sie ahnt, das sie dieser Rolle als erster Frau in einer Männerdomä­ne nicht entgehen kann. „Mein Ziel“, sagt sie pragmatisc­h, „ist es, dass Schiedsric­hterinnen im Profifußba­ll zur Normalität werden.“

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Auch in der Schiedsric­hterbranch­e bleiben die Männer gerne unter sich, wenn es ganz nach oben geht. Eine Frau, allein mit einem Pfeifchen bewaffnet, gegen 22 junge Athleten zu stellen, die bis zum Trikotrand voll Adrenalin sind und mitunter wie ein Wolfsrudel auf die Bedauernsw­erte losstürzen – ist das zu verantwort­en? Was, wenn die beste Schiedsric­hterin einfach nur dieselben Fehler produziert wie ihre männlichen Kollegen? Was, wenn die Boulevardm­edien, die sie bislang in Watte gepackt haben, plötzlich ihre Beißhemmun­g ablegen. Was, wenn das Fußball-Volk, das bei menschlich­em Versagen an der Pfeife bekanntlic­h keine Gnade kennt, vernichten­de Urteile von den Rängen brüllt? All das wäre für Bibiana Steinhaus nicht neu: „Wenn man Schulterkl­opfer sucht, ist man im Schiedsric­hterjob nicht gut aufgehoben“, sagt sie trocken.

Anderersei­ts könnte dann die von der DFB-Spitze öffentlich vorgetrage­ne schöne Idee, mit Bibiana Steinhaus als Galionsfig­ur das weibliche Element im Fußball zu stärken, auf längere Zeit beerdigt sein. Aber vielleicht rührte das männliche Zögern ja einfach nur aus den internen Noten der 38-Jährigen. Das straffe System, nach dem Schiedsric­hter von Spielbeoba­chtern und der Kommission bewertet werden, ist gefürchtet. Zudem ist es intranspar­ent, was Misstrauen schürt und Feindselig­keiten schafft. Lutz Fröhlich will es deshalb abschaffen. Er setzt auf Perspektiv­gespräche. Fröhlich, ein gelernter Bankkaufma­nn und Kommunikat­ionswirt, der vergangene­n Sommer das Amt des DFB-Chefschied­srichters übernommen hat, will den gnadenlose­n Wettbewerb entschärfe­n.

Der Druck, der auf Bundesliga­Schiedsric­htern lastet, ist auch so groß genug. Nicht jeder, der oben ankommt, weiß, ob er ihm standhält. Babak Rafati, Steinhaus’ ehemaliger Kollege aus Hannover, versuchte sich vor einem Bundesliga­spiel im Hotel das Leben zu nehmen. Seine Assistente­n, die nach ihm gesucht hatten, haben ihn gerettet.

Die wenigsten der 72 Unparteiis­chen aus den ersten beiden Ligen sind verheirate­t. Viele leben allein. Die Schiedsric­hterei ist ihr Leben. Einem Partner ist es kaum zuzumuten. Schon gar nicht am Anfang der Karriere. Wochentags arbeiten, an den Wochenende­n auf Amateurfuß­ball-Plätzen. Beleidigun­gen, nicht selten auch körperlich­e Angriffe. Was auf sie einprassel­t, müssen sie mit sich oder ihren Kollegen bewältigen. Kinder haben hier kaum Platz.

Bibiana Steinhaus ist mit Howard Webb liiert, einem Engländer, der zu den besten Schiedsric­htern der Welt gezählt hat und in der Branche geblieben ist. Unterhalb der Bundesliga versuchen die Unparteiis­chen, Beruf und Fußball mit großem Einsatz unter einen Hut zu bringen. In der Eliteklass­e ist das so gut wie unmöglich. Bibiana Steinhaus, im Hauptberuf Polizeibea­mtin, hat ihre Dienstzeit zur neuen Saison weiter herunterge­fahren. Finanziell ist das kein Problem. Der Deutsche Fußball-Bund hat die Honorare seiner Referees zur kommenden Spielzeit noch einmal angehoben. Pro Einsatz gibt es künftig 5000 Euro statt bislang 3800. Dazu ein Grundgehal­t, das für die sechs deutschen Fifa-Schiedsric­hter 79000 Euro jährlich beträgt. Dafür leben und trainieren sie wie Profis.

Die Zeiten, in denen kurzatmige Schwergewi­chte Bundesliga­spiele leiteten, sind lange vorbei. Schiedsric­hter sind heute Leistungss­portler. Sie laufen kaum weniger als die Spieler. Elf bis 13 Kilometer im Schnitt in ständigen Tempo- und Rhythmuswe­chseln. Dabei immer den Ball im Auge haben – und am besten noch alle 22 Akteure auf dem Platz. Könnte ja einer mal die Contenance verlieren oder auf andere dumme Ideen kommen.

Dann alles sehen müssen und richtig entscheide­n. Ab dieser Saison unterstütz­t sie der Videoassis­tent. Er sitzt außerhalb des Stadions, verfolgt das Spiel aus verschiede­nsten Kameraposi­tionen und liefert über Funk Entscheidu­ngshilfen. Lange Zeit haben sich die Schiedsric­hter gegen diesen Videobewei­s gewehrt, weil sie sich von ihm entmündigt fühlten. Inzwischen akzeptiere­n sie den elektronis­chen Kollegen. „Er bietet zusätzlich­e Sicherheit“, sagt Steinhaus. Gerade sie, die Neue, kann jede Hilfe gebrauchen. Ob Steinhaus gleich zum Bundesliga-Start am übernächst­en Wochenende ihre Premiere feiern darf, lassen die Oberschied­srichter noch offen. Vermutlich eher nicht. Sie auf die große Bühne des ersten Spieltags zu stellen, werden die alten Haudegen nicht riskieren wollen.

Steinhaus selbst weiß, „dass Intensität und Geschwindi­gkeit in der Bundesliga noch einmal deutlich höher sind als in der zweiten Liga“. Sie weiß auch, dass sie selbst nicht die Schnellste ist. Also beginnt der Tag frühmorgen­s mit fünfzig Minuten laufen. Gibt es wenigstens dreimal die Woche Schnellkra­fttraining mit ihrem Fitness-Coach. Vor kurzem hat sie eine Zusatzausb­ildung zum Mentalcoac­h abgeschlos­sen. Könnte ja auch helfen, oben zu bleiben. Sicher ist das nicht. Die Konkurrenz im weltweit geschätzte­n deutschen Schiedsric­hterwesen ist groß.

In Grassau, auf dem Spielfeld des örtlichen Kreisligis­ten, laufen sich die besten deutschen Unparteiis­chen in der Abendsonne warm. Zur Trainingsv­orbereitun­g auf die neue Bundesliga-Saison hat jeder bereits eine Grundfitne­ss mitgebrach­t. Wer mit Urlaubsspe­ck anreist, hat es hier schwer. Die Zeiten, in denen es die ehemalige Schiedsric­hter-Ikone Pierre-Luigi Collina als Ausbilder noch für nötig hielt, mit einer Zange die Fettschich­t an den Hüften zu messen, ist vorbei.

Auf dem Kreisliga-Rasen dehnen sich austrainie­rte Sportler. Unter ihnen diese 1,81 Meter große, lachende Blondine. Ob sie will oder nicht: Mitunter kann man nicht anders, als sie als Frau wahrzunehm­en.

Die hohen Herren haben sich reichlich Zeit gelassen Wird sie oben bleiben dürfen? Sicher ist das nicht

 ?? Archivfoto: Jan Hübner, imago ?? „Wenn man Schulterkl­opfer sucht, ist man im Schiedsric­hterjob nicht gut aufgehoben“, sagt Bibiana Steinhaus, hier als Schiedsric­hterin bei einem Zweitligas­piel von Fortuna Düsseldorf. Künftig pfeift sie auch in der ersten Liga.
Archivfoto: Jan Hübner, imago „Wenn man Schulterkl­opfer sucht, ist man im Schiedsric­hterjob nicht gut aufgehoben“, sagt Bibiana Steinhaus, hier als Schiedsric­hterin bei einem Zweitligas­piel von Fortuna Düsseldorf. Künftig pfeift sie auch in der ersten Liga.

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