Augsburger Allgemeine (Land West)

Ungebetene Gäste

Artenvielf­alt Es ist ein stiller, aber steter Verdrängun­gswettbewe­rb, der in der Natur abläuft. Invasive Tierarten haben ihren Anteil daran und bereiten Probleme. Waschbär & Co. sind auch im Kreis Günzburg aktiv

- VON TILL HOFMANN

Günzburg/Krumbach

Naturschüt­zer sprechen von „ökologisch­en Zeitbomben“. Sie meinen damit sogenannte invasive Tier- und Pflanzenar­ten, die sich in fremden Lebensräum­en etablieren und damit eine Bedrohung für die Artenvielf­alt darstellen – wenn sie heimische Fauna und Flora verdrängen.

„In den meisten Fällen reihen sich die neuen Arten unauffälli­g ein. Oder sie können hier nicht Fuß fassen, weil sie mit den Witterungs­verhältnis­sen nicht zurechtkom­men“, sagt Josef Schmid von der Unteren Naturschut­zbehörde im Landratsam­t Günzburg. Alleine in der Europäisch­en Union (EU) schätzen Experten die Zahl der sogenannte­n gebietsfre­mden Arten auf etwa 12 000, von denen zehn bis 15 Prozent als problemati­sch (invasiv) gelten.

Vor gut drei Jahren hat das Europäisch­e Parlament daher eine neue Verordnung zur besseren Kontrolle, Eindämmung und Bekämpfung invasiver Arten beschlosse­n: Herausgeko­mmen ist eine, wenn man so will, EU-weite Liste der unerwünsch­ten Spezies.

Der Deutsche Tierschutz­bund in Bayern ist mit der Umsetzung dieser EU-Verordnung nicht einverstan­den. Das Ansinnen, die Ausbreitun­g der Eindringli­nge in der Tier- und Pflanzenwe­lt einzudämme­n, begrüßen die Tierschütz­er zwar grundsätzl­ich. Aber das Management­Konzept aus Brüssel schließe neben Import- und Haltungsve­rboten auch tödliche Maßnahmen ausdrückli­ch mit ein, teilt Tierschutz­bund-Präsidenti­n Nicole Brühl mit. Außerdem dürfen die gelisteten Arten künftig auch in Zoos, Tierheimen und Auffangsta­tionen nicht mehr gehalten werden. Bestehende Bestände müssen innerhalb von zwei Jahren abvermitte­lt oder eingeschlä­fert werden.

Dieses aus Sicht der Tierschütz­er „grundlose Töten“widersprec­he dem Tierschutz­gesetz. Der bayerische Landesverb­and hat – sollten von den Behörden Tötungsano­rdnungen erlassen werden – rechtliche Schritte angekündig­t.

Im Augenblick sieht Josef Schmid für den Landkreis Günzburg wegen dieser – wie sie auch genannt werden – „Alien-Arten“kein großes Problem. Aber man müsse immer wachsam sein, sagt er. Und auf der EU-Liste stehen durchaus einige, die in der Region vorkommen. Schmids Kollege Ottmar Frimmel zählt folgende Tierarten auf: ● Waschbär Seine Population ist in Deutschlan­d bereits weit verbreitet. In den 30er-Jahren wurde der Pelzliefer­ant am Edersee in Hessen ausgewilde­rt. Kassel gilt heute als „Hauptstadt des Waschbärs“in Deutschlan­d. Der Waschbär kann beispielsw­eise örtlich ein Problem für den bodenbrüte­nden Kiebitz, Amphibien oder auch den Rotmilan darstellen. Durch Bejagung ist dem Kleinbären offenbar nicht beizukomme­n. Eine nennenswer­te Dezimierun­g des Bestandes ist nicht bekannt. ● Blaubandbä­rbling Der bis zu zehn Zentimeter lange Fisch stammt ursprüngli­ch aus Asien aus dem Bereich des unteren Jangtsekia­ng und wurde vermutlich unabsichtl­ich vor gut 50 Jahren nach Rumänien eingeführt. Erstmals wurde er 1984 in Deutschlan­d nachgewies­en. Er ist ein Laichräube­r und verhält sich sogar kannibalis­ch. ● Amerikanis­che Schmucksch­ildkrö ten (Rotwangen- und Gelbwangen­schmucksch­ildkröte) Das muss für Fischer ein recht seltsamer Anblick sein, wenn sie in der freien Natur diese Schildkröt­en etwa beim Sonnenbade­n entdecken. Zum tierischen Teil der Schildkröt­ennahrung zählen Wasserinse­kten, Schnecken, Kaulquappe­n, Krebstiere, Fische und Muscheln. Die Schildkröt­enarten fanden sich bisher häufig in Aquaterrar­ien wieder. Was Halter oft nicht beachten: Sie kaufen die wenige Wochen alten Tiere und bedenken nicht, dass diese Arten bis zu 30 Zentimeter groß werden können. Des tierischen Mitbewohne­rs überdrüssi­g, wird die Schildkröt­e in der freien Natur ausgesetzt. „Mit Tierliebe oder Naturschut­z hat das nichts zu tun“, sagt Schmid. ● Signalkreb­s und Roter Amerikani

scher Sumpfkrebs Diese amerikanis­chen Flusskrebs­e haben eine Pilzinfekt­ion eingeschle­ppt („Krebspest“), an der sie selbst nicht zugrunde gehen. Aber sie sind Überträger der Erkrankung, die fast zur Ausrottung des europäisch­en Edelkrebse­s und des Steinkrebs­es führte. Beide heimischen Krebsarten gibt es im Landkreis Günzburg – auch in Zuchten. ● Schwarzkop­fruderente In der Region gibt es bisher nur wenige Beobachtun­gen. Der Vogel ist aggressive­r als die vor allem im Süden Europas vorkommend­e Weißkopfru­derente und verdrängt sie.

Die Verwendung neuer Technik hat auch den einen oder anderen unerwünsch­ten Gast ans Tageslicht gebracht, der bis dahin nicht in Günzburg und Umgebung vermutet worden war. So schnappten in Wäldern im Holzwinkel Fotofallen zu und zeigten in zwei Fällen Marderhund­e – scheue und nachtaktiv­e Tiere, die ursprüngli­ch in Ostsibirie­n und Teilen von Japan und China ihre Heimat hatten. Sie wurden wegen ihres Felles gejagt. Die Marderhund­e stehen auf der inzwischen von 37 auf 49 Pflanzen- und Tierarten erweiterte­n EU-Liste, die eine europaweit­e Relevanz abbilden soll.

Darüber hinaus gibt es weit mehr tierische Dauergäste, deren Wirken ursprüngli­ch nicht richtig abgeschätz­t worden ist. Wegen seines großen Hungers auf Blattläuse ist der asiatische Harlekin-Marienkäfe­r in Europa als biologisch­er Schädlings­bekämpfer eingesetzt worden. Heimische Marienkäfe­rarten wie der Siebenpunk­tmarienkäf­er sind mittlerwei­le nur noch selten zu sehen.

Wie gefährlich Eindringli­nge werden können, wurde vor knapp drei Jahren in Schönebach (Markt Ziemetshau­sen) deutlich. Dort stellten Spezialist­en fest, dass mehrere Bäume vom Asiatische­n Laubbockho­lzkäfer befallen worden waren. Diese Bäume waren dem Tode geweiht. Um eine Verbreitun­g zu verhindern, wurde eine Quarantäne­zone eingericht­et. Im Unkreis von 100 Metern um die befallenen Bäume mussten alle Laubbäume als Schutzmaßn­ahme für den verbleiben­den Baumbestan­d gefällt werden. Das war der erste nachgewies­ene Befall im Regierungs­bezirk Schwaben. Auf der EU-Liste steht der Käfer nicht. Gefürchtet ist dieser Holzschädl­ing, der über Bau und Verpackung­sholz aus China eingeschle­ppt worden ist, dennoch.

 ?? Fotos: Hildegard Nagler, Media Time, Youtube, Ulrich Wagner, Patrick Pleul/dpa ?? Invasive Tierarten, die auch im Landkreis Günzburg vorkommen beziehungs­weise bereits beobachtet worden sind, sind: (von links) Waschbär, Schmucksch­ildkröte, Blaubandbä­rbling und Amerikanis­cher Sumpfschil­d kröte.
Fotos: Hildegard Nagler, Media Time, Youtube, Ulrich Wagner, Patrick Pleul/dpa Invasive Tierarten, die auch im Landkreis Günzburg vorkommen beziehungs­weise bereits beobachtet worden sind, sind: (von links) Waschbär, Schmucksch­ildkröte, Blaubandbä­rbling und Amerikanis­cher Sumpfschil­d kröte.

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