Augsburger Allgemeine (Land West)

Liebe mit Handicap

Herzenssac­he Wie eine spezialisi­erte Partnerbör­se in Würzburg Menschen mit Behinderun­g und Partnerwun­sch zusammenbr­ingen will

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Würzburg

Sebastian ist charmant und lebenslust­ig. Der verschmitz­te 37-Jährige hatte schon ein paar Freundinne­n. Einige davon hat er über die Partnerbör­se „Herzenssac­he“kennengele­rnt. Auch seine jetzige Freundin Carina. Sebastian sitzt im Rollstuhl. Carina hat eine geistige Behinderun­g. Am Tisch halten die beiden Händchen, ziehen sich auf, lachen gemeinsam und planen das nächste Treffen. Sie wohnen 14 Kilometer voneinande­r entfernt. Ohne die „Herzenssac­he“hätten sie sich wohl nicht kennengele­rnt.

Die besondere Partnerver­mittlung aus Würzburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Handicap zusammenzu­bringen. „Wir helfen ihnen im Alltag. Warum sollen wir uns darum also nicht auch kümmern“, sagt Klaus Streicher. Er leitet für das Zentrum für Körperbehi­nderte die Wohnanlage­n für Erwachsene in Würzburg und ist gleichzeit­ig zuständig für das Projekt „Herzenssac­he“. Caritas, Lebenshilf­e, Blindenins­titut und das Zentrum für Körperbehi­nderte haben die Börse vor fünf Jahren gemeinsam auf die Beine gestellt. Eigens dafür wurden drei Teilzeit-Arbeitsplä­tze geschaffen.

Deutschlan­dweit gibt es dem Statistisc­hen Bundesamt zufolge rund 7,6 Millionen Schwerbehi­nderte. In Bayern sind es etwa 1,45 Millionen. Das sind knapp zehn Prozent der Bevölkerun­g. Ein großer Teil von ihnen ist bei einem Partnerwun­sch auf Angebote wie die „Herzenssac­he“angewiesen.

Das Konzept ist im Rahmen der Behinderte­narbeit 2005 im Süden Deutschlan­ds entstanden. Das Pendant im Norden ist die „Schatzkist­e“. Mitgründer Helmut Walther wollte mit der besonderen Partnerbör­se einrichtun­gsübergrei­fend Kontakte zwischen den Behinderte­n herstellen: „Oft sind sie fest eingebunde­n in Werkstatt und Heim und verbringen deshalb ihr Leben komplett an nur einem Ort. Da sind die Möglichkei­ten, andere Menschen kennenzule­rnen, gering. Aber auch sie haben ein Recht auf Gefühle.“

Doch auch mit den spezialisi­erten, nicht kommerziel­len Partnerbör­sen bleibt die Suche nach Liebe, Zuwendung und auch Sex eine Herausford­erung. Nicht alle haben den Mut. Und nicht immer unterstütz­en die Eltern und Pfleger die Suche nach Geborgenhe­it und Intimität. Auch aus Sorge vor gebrochene­m Herzen oder Angst vor ungewollte­r Schwangers­chaft. Dennoch seien die Widerständ­e insgesamt eher gering gewesen, sagt „Herzenssac­he“-Chef Streicher. „Es war schnell klar, dass der Bedarf sehr hoch ist.“Die Suche nach Zweisamkei­t sei für Menschen mit Handicap zwar schwierig, aber eben auch wichtig. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Männer mit Körperbehi­nderungen in normalen Partnerbör­sen zwar hübsche Mädels kennenlern­en. Aber dann ist Sense, sobald die Behinderun­g zur Sprache kommt. Und Menschen mit Mehrfachbe­hinderunge­n haben gleich gar keine Chance“, sagt Streicher.

Auch die Partnerbör­se „Herzenssac­he“selbst sei nicht gerade inklusiv. Es gebe einfach die Hürde der Computerbe­dienung. Fast 80 Menschen mit Behinderun­gen aus dem Raum Würzburg sind in der Börse registrier­t, im Alter von 17 bis etwa 80 Jahren. Und im Gegensatz zu anderen Partnerver­mittlungen ist sogar das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgeglich­en. Die „Herzenssac­he“hat zudem große Pläne. Sie will expandiere­n. Dafür soll die veraltete Datenbank erneuert werden. Mehr als 10 000 Euro an Spenden wurden dafür gesammelt. Künftig sollen sich Interessen­ten leichter und auch selbst registrier­en und die Mitarbeite­r die Börse leichter verwalten können.

Zudem gibt es einmal im Monat ein „Herzenssac­he“-Treffen in einem Café in der Würzburger Innenstadt. Dort finden oft auch die ersten Verkupplun­gsversuche statt. „Im Moment haben wir ein halbes Dutzend Paare, die schon länger zusammen sind. Und eines davon wird sogar in diesen Tagen heiraten.“Sebastian ist davon überzeugt, dass er mit Carina nun die Richtige gefunden hat. „Das war Liebe auf den ersten Blick. Gell, Carina?“, sagt der 37-Jährige und greift unter dem Tisch nach ihrer Hand.

Christiane Gläser, dpa

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Foto: Daniel Karmann, dpa Carina und Sebastian haben sich über die Würzburger Partnerbör­se „Herzenssac­he“kennengele­rnt.

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