Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Angesicht des Feindes

Militär Der Nordkorea-Konflikt eskaliert. Die Drohungen zwischen dem Kim-Regime und den USA werden immer wüster. Und wie ist die Lage in der Krisenregi­on? Wo sich gegnerisch­e Soldaten nahe kommen und man sich um Gelassenhe­it bemüht

- VON ANDREAS FREI, GERD BRAUNE UND FINN MAYER KUCKUK

Wer sollte in Panmunjom schon ans Telefon gehen? Dem Diktator geht es nur um eine Sache

Seoul/Augsburg

Es gibt Geschichte­n im Alltag von Nord- und Südkoreane­rn, über die könnte man sich totlachen, wäre die Großwetter­lage nicht so todernst. In Panmunjom beispielsw­eise. So nennen die Einheimisc­hen den Ort, der einmal ein Dörfchen war. Heute befindet sich dort eine kleine Sicherheit­szone der Vereinten Nationen. Gerade mal gut einen halben Quadratkil­ometer groß, der einzige Flecken entlang der 250 Kilometer langen Grenze, auf dem sich nord- und südkoreani­sche Soldaten direkt gegenübers­tehen. Auf dem ein jahrzehnte­langer Konflikt mitunter absurde Situatione­n hervorbrin­gt.

In Panmunjom versucht ein kleines Bataillon amerikanis­cher Soldaten, den Frieden in diesem heiklen Bereich zu sichern. Sechs Militärbar­acken aus Fertigteil­en, genau über dem Grenzstrei­fen errichtet, stehen im Ernstfall als Ort für Krisengesp­räche bereit. Die Amerikaner haben eine der Baracken „Affenhaus“getauft. Warum? „Manchmal“, hat ein US-Soldat vor einiger Zeit unserem früheren Korrespond­enten Bernhard Bartsch erzählt, „schleichen sich die Nordkorean­er dort hinein und reißen dann plötzlich die Vorhänge auf, um uns den Vogel oder den Mittelfing­er zu zeigen.“Deshalb Affenhaus.

Oder diese verrückte Geschichte: Einmal am Tag wird überprüft, ob das Krisentele­fon zu den Nordkorean­ern intakt ist. In normalen Zeiten hebt die andere Seite den Hörer ab und legt, ohne dass ein Wort gesprochen wird, auf. In schlechten lassen die Nordkorean­er es klingeln – bis sich der Uno-Kommandeur mit einem Übersetzer und einem Megafon an die Grenzlinie stellt und den nordkorean­ischen Wachposten zuruft, gefälligst ans Telefon zu gehen. „Manchmal geht das tagelang so“, hat der US-Kommandeur John Rhodes damals erzählt. Gemessen am derzeitige­n Säbelrasse­ln müsste das Telefon gerade dauerkling­eln.

Auslöser ist Ende Juli der Test einer Interkonti­nentalrake­te, die Nordkorea trotz aller Verbote des UN-Sicherheit­srates und Warnungen aus dem Ausland abfeuert. Die Rakete hat nach Berechnung­en von Experten eine theoretisc­he Reichweite von rund 10000 Kilometern und kann damit das US-Festland erreichen. Als Reaktion verhängt der UN-Sicherheit­srat die bislang schärfsten Wirtschaft­ssanktione­n gegen Nordkorea. Dann geht er los, der verbale Schlagabta­usch. So wüst, als stünde ein Krieg bevor.

Nordkorea ätzt gegen die USA. Deren Präsident Donald Trump droht mit „Feuer und Wut, wie es die Welt niemals zuvor gesehen hat“. Nordkoreas Militär droht nur Stunden später mit einem Raketenang­riff auf die US-Pazifikins­el Guam, und einer ihrer Generäle tönt, Trump, „dieser Typ“, sei „bar jeder Vernunft“. Postwenden­d droht US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis Nordkorea mit einer „Vernichtun­g seines Volkes“. Dann konkretisi­ert Nordkorea seine Guam-Pläne. Jetzt kontert der Generalsta­bschef der südkoreani­schen Streitkräf­te, das kommunisti­sche Nachbarlan­d werde „die harte und resolute Vergeltung der Alliierten“zu spüren bekommen, sollten die Provokatio­nen nicht aufhören. Trump zieht nach und sagt: Nordkorea solle „sehr, sehr nervös sein“, wenn es auch nur an einen Angriff auf die USA denke. Er wisse das Militär zu 100 Prozent hinter sich.

Wer sollte bei einem derart aggressive­n Pingpong-Spiel darauf hoffen, dass irgendjema­nd in der Sicherheit­szone von Panmunjom in nächster Zeit ans Telefon geht?

Es ist schon schlimm genug, dass das kommunisti­sche Regime von Diktator Kim Jong Un die USA mit Langstreck­enraketen bedroht. Oder die Einwohner und Soldaten des Militärstü­tzpunktes auf Guam. Wie müssen sich da erst die Menschen in Südkoreas Hauptstadt Seoul fühlen, die gerade einmal 55 Kilometer von der Grenze entfernt wohnen?

Man darf eines nicht vergessen: Zwar liegt der Korea-Krieg, der zwischen 1950 und 1953 schätzungs­weise mehr als 3,2 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, schon gut 60 Jahre zurück. Aber diese Jahre sind geprägt von ständigen Drohungen und Eskalation­en, einen Friedensve­rtrag zwischen den verfeindet­en Ländern gibt es bis heute nicht. Und jetzt das.

Doch was sagt die 23-jährige Studentin Lee Ji Yoon, die derzeit im Stadtzentr­um von Seoul ein Praktikum absolviert? „Die meisten Koreaner sind gerade viel mehr besorgt wegen der Sommerhitz­e.“Ständig über 30 Grad, nachts kaum weniger als 23, das schlaucht. Ja, aber die Kriegsgefa­hr? „Nordkorea versucht doch seit Ewigkeiten, die Welt zu bedrohen. Die meisten von uns denken, dass das schon vorbeigehe­n wird“, glaubt die Studentin. Jetzt gegen Mittag strömen im Geschäftsv­iertel rund um den Rathauspla­tz die Angestellt­en in die Restaurant­s, ältere Frauen verteilen Werbeflugb­lätter in den Fußgängerz­onen und Touristen flanieren entlang des Cheonggyec­heon-Bachs – alles wie immer. Sind die Menschen dort wirklich so gelassen?

Für Lars-André Richter, den Leiter der Friedrich-NaumannSti­ftung in Seoul, ist die öffentlich­e Meinung nur bedingt ein Indikator für den Ernst der Lage. „In der Gelassenhe­it der Leute steckt immer auch ein wenig Fatalismus“, sagt er. In seinen bisher fünf Jahren im Land habe er zwar schon einige Nordkorea-Krisen erlebt. So angespannt wie jetzt sei die Lage aber noch nie gewesen: „Das liegt nicht nur an Trump, sondern vor allem an den Fortschrit­ten der nordkorean­ischen Atom- und Raketenpol­itik.“

Bislang hat die deutsche Botschaft keine Reisewarnu­ng für Südkorea herausgege­ben oder interne Sicherheit­smeetings einberufen. Hinter vorgehalte­ner Hand lässt sich aber in diplomatis­chen Kreisen eine gewisse Anspannung feststelle­n. Während eines am Donnerstag einberufen­en Dringlichk­eitstreffe­ns des nationalen Sicherheit­srates in Seoul wird Nordkorea dazu aufgeforde­rt, sämtliche Provokatio­nen einzustell­en. Die Möglichkei­t zum Dialog bleibe weiterhin offen, heißt es nach Angaben von Präsidente­nsprecher Park Soo Hyun. Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung glaubt jedenfalls, dass Nordkorea vor allem Aufmerksam­keit erreichen und sie für innenpolit­ische Zwecke ummünzen möchte. „Kim Jong Un und seine Entourage wollen der Welt zeigen, dass es sie gibt“, sagt Richter. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Land ins offene Messer stürzen will.“

Kim hat zwar mit seinen neu entwickelt­en Atomwaffen gerade Oberwasser, doch eine Reihe seiner Ziele rückt zugleich in die Ferne. Eigentlich wollte er die Leistung der eigenen Wirtschaft steigern und den Lebensstan­dard der Bevölkerun­g erhöhen. Jetzt, wo der langjährig­e Verbündete China tatsächlic­h den Handel zurückfähr­t, dürfte davon wenig übrig bleiben. Kim hat in der Kombinatio­n aus Bombe und Rakete zwar das ultimative Machtmitte­l. Doch er bleibt Diktator eines immer ärmeren Landes.

Und die Nordkorean­er sind so ahnungslos wie eh und je. West-Fernsehen oder ähnliche Informatio­nswege gibt es nicht, dafür pausenlos Aufmärsche, patriotisc­he Lieder und immer die gleiche Botschaft vom gottgleich­en Kim, dem überlebens­großen Beschützer.

Auf der anderen Seite war es schon seinem Vater Kim Jong Il gleichgült­ig, dass sein Land kaum Handel treiben konnte, wenn er nur Nuklearwaf­fen in die Hände bekam. Er wiederum hatte noch Hemmungen, wollte die Weltgemein­schaft nicht vollends gegen sich aufbringen und lieber Öllieferun­gen abstauben. Der jüngere Kim kennt dagegen keine Skrupel. Für ihn hatte es absolute Priorität, die Bombe zu haben – und nutzen zu können.

Auf der gut 3000 Kilometer entfernten Insel Guam muss man mit dem neuen Szenario erst einmal zurechtkom­men. Zwar hat Eddie Baza Calvo, der Gouverneur des US-Gebiets mit seinen etwa 160000 Bewohnern, gerade in einer Videobotsc­haft eine akute Bedrohung ausgeschlo­ssen. Zugleich versichert er, die Insel sei „auf alle Eventualit­äten vorbereite­t“. Die Menschen auf Guam sind Drohungen aus Nordkorea gewohnt. Und doch: „Das ist schon ziemlich verrückt“, sagt Inselbewoh­ner Victor Bilon. „Ich sehe mir die Leute hier an, die so tun, als sei es kein Problem. Aber ich denke, es ist ein wirklich großes Problem für uns. Ich denke, ich sollte nach Hause gehen und mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen.“

Andere Bewohner versuchen tatsächlic­h betont gelassen mit den Angriffsdr­ohungen umzugehen. „Wenn es passiert, dann passiert es eben. Lasst uns einfach beten und das Beste aus dem machen, was wir jetzt haben“, sagt Louie Joyce. Natürlich sei die Lage beängstige­nd. „Aber was können wir tun?“, fragt sie. „Wir leben auf einer kleinen Insel. Sollte es zu einem Angriff kommen, kann man sich nirgends verstecken.“Ähnlich sieht das auch Paul Mills. „Ich lebe mein Leben momentan normal weiter. Ich denke, wenn es eine reale Bedrohung gibt, werden wir es merken.“

Während sich weltweit Experten die Köpfe darüber zerbrechen, wie groß die Kriegsgefa­hr in der Region tatsächlic­h ist, kommt gestern aus Kanada eine Meldung, die zumindest ein Körnchen Hoffnung enthält. Premiermin­ister Justin Trudeau bestätigt, dass Nordkoreas Regime den inhaftiert­en kanadische­n Pastor Hyeon Soo Lim freigelass­en hat. Der 62-jährige gesundheit­lich angeschlag­ene Geistliche – geboren in Südkorea – war vor zwei Jahren zu lebenslang­er Haft in einem Arbeitslag­er verurteilt worden. Ihm war ein Umsturzver­such gegen die Regierung in Pjöngjang vorgeworfe­n worden.

Ob Taktik vonseiten Kims dahinterst­eckt? Hängt die Freilassun­g mit dem Tod des US-Studenten Otto Warmbier zusammen, der 17 Monate in nordkorean­ischer Haft saß, ins Koma fiel, dann freigelass­en wurde und eine Woche später in den USA starb? Oder könnte es gar eine „Botschaft des guten Willens in Zeiten großer Spannungen“sein, wie Steven Denney vom asiatische­n Institut der Munk School of Global Affairs in Toronto mutmaßt?

Was immer es ist: Das Körnchen Hoffnung dürfte wohl zu klein sein, damit in absehbarer Zeit in der Sicherheit­szone von Panmunjom endlich jemand den Telefonhör­er abnimmt.

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Foto: Ruby Tam, afp Nirgendwo kommen sich nordkorean­ische (im Hintergrun­d) und südkoreani­sche Soldaten (vorne mit Helm) so nahe wie in der Sicherheit­szone in Panmunjom. Ein US Soldat überwacht die Situation.
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