Augsburger Allgemeine (Land West)

Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe (7)

- Zwei Männer wollen Irene sowie ein Gemälde, das Irene nackt zeigt: der Unternehme­r Gundlach und der Maler Schwind. Ein Anwalt soll vermitteln; er lernt ebenfalls, Irene zu lieben… Aus: Bernhard Schlink Die Frau auf der Treppe © 2014 by Diogenes Verlag AG

Hatte Gundlach einen Detektiv angestellt, der Schwinds Wegen folgte und sein Betreten und Verlassen der Kanzlei gemeldet hatte?

„Sie überlegen, was Sie aufsetzen sollen. Ich habe Ihnen nicht ins Handwerk zu pfuschen. Aber erlauben Sie mir einen Hinweis zur Abwicklung. Am besten kommen Schwind und Irene zu mir. Wir reden ein bisschen, Schwind bringt das Bild ins Auto, um gleich wiederzuko­mmen und Irene abzuholen, fährt aber mit dem Bild davon. Wenn ich Irene dann erkläre, dass Schwind sie gegen das Bild getauscht hat, weiß sie schon, zu wem sie gehört.“„Was, wenn sie’s nicht weiß?“Er lachte. „Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich kenne sie. Als sie mich verließ, hatten wir eine schwierige Zeit, und sie dachte, sie fände die wahre Liebe nicht bei mir, sondern bei ihm. Nach dem Tausch weiß sie es besser.“Ich sagte nichts. „Hallo? Sie glauben mir nicht und fragen sich, was passiert, wenn sie’s

nun doch nicht weiß? Keine Angst, ich lege sie nicht in Ketten und sperre sie nicht in den Keller. Wenn sie eine Taxe will, kriegt sie eine Taxe.“Sein Ton wurde herrisch. „Also machen Sie den Vertrag, lassen Sie Schwind und mich unterschre­iben, und setzen Sie das Treffen an.“Er legte auf.

In Ketten legen und in den Keller sperren? Nein, so nicht. Aber was, wenn er sie irgendwohi­n entführte? In sein Haus auf dem Land oder auf seine Insel in der Ägäis? Er betäubt sie, und sie wacht auf seiner Jacht oder in seinem Jet auf, und weil sie nur noch gute Miene zum bösen Spiel machen kann, schreibt sie mir eine Postkarte, dass sie mit Gundlach zweite Flitterwoc­hen genießt?

Ich stellte mir das Gespräch, das Gerangel und die Betäubung vor. Macht Gundlach es alleine? Oder hält der Butler sie fest, während Gundlach den Lappen mit dem Chloroform auf ihr Gesicht drückt? Tragen sie sie zusammen in den Wagen? Fährt Gundlach selbst? Dann kam mir eine andere Wendung des Geschehens in den Sinn. Wie, wenn Schwind Gundlach betrügt? Wenn er ihr alles sagt? Wenn sie ihm hilft, das Bild zu kriegen, um danach mit ihm zu fliehen? Gundlach lässt sich das nicht bieten und hat Leute, die die beiden jagen und Schwind bestrafen und sie entführen. Oder ist er so wütend auf sie, dass er sie nicht entführen, sondern auch bestrafen lässt? Verprügeln, vergewalti­gen, entstellen? Nein, Schwind musste wissen, dass er Gundlach nicht betrügen konnte. Es würde zum Tausch kommen.

Gundlach hat sich erst vor wenigen Jahren zur Ruhe gesetzt und die Leitung des Unternehme­ns seiner Tochter übergeben. Er war ein begnadeter Unternehme­r, hat erfolgreic­h nach Osteuropa, Amerika und China expandiert, hat Kohl und Schröder in den Wirtschaft­sfragen der Wiedervere­inigung beraten und hätte, wenn er gewollt hätte, Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie werden können. Gelegentli­ch sind wir uns gesellscha­ftlich begegnet. Aus dem Verspreche­n, er werde, wenn ich ihn und Schwind miteinande­r ins Geschäft brächte, an mich denken, wurde nichts.

Ja, ich brachte Gundlach und Schwind so miteinande­r ins Geschäft, wie sie es wollten. Ich setzte den Vertrag auf, legte darin die Übergabe entspreche­nd Gundlachs Vorschlag fest und ließ den Vertrag von beiden unterschre­iben. Die Übergabe sollte am Sonntag um 17 Uhr stattfinde­n.

Außerdem beschloss ich, Irene Gundlach zu warnen. Sollte ich sie in die Kanzlei bestellen? Sie auffordern, alleine zu kommen? Aber wenn Schwind sie doch begleiten würde? Oder wenn sie meine Aufforderu­ng seltsam fände und nicht käme? Ich wusste, wo sie und Schwind wohnten, nahm den Tag frei und parkte das Auto so, dass ich den Eingang des mehrstöcki­gen alten Mietshause­s im Auge hatte. Ich musste nicht lange warten; um 9 Uhr trat sie aus der Tür, ging die Straße entlang, und ich folgte ihr auf der anderen Straßensei­te. Wir nahmen die U-Bahn in die Innenstadt, und im Getümmel des Aussteigen­s ergab sich eine hinreichen­d zufällig wirkende Begegnung.

„Wie schön, dass wir uns treffen. Der Fall nimmt eine Wendung, über die ich mit Ihnen reden wollte. Haben Sie einen Moment?“

War sie überrascht? Sie reagierte gelassen, lächelte und sagte: „Ich muss über den Fluss. Begleiten Sie mich?“

Wir gingen durch die Altstadt und über die Brücke und redeten von der Veränderun­g des Stadtbilds, den bevorstehe­nden Wahlen und dem schönen Herbst. Über dem Fluss hing noch der Morgennebe­l, aber die bunten Blätter der Bäume leuchteten schon in der Sonne. Ich erinnerte sie daran, dass auch bei ihrem Besuch in der Kanzlei die Sonne geschienen und die Blätter geleuchtet hatten.

Wir setzten uns auf eine Bank, und ich erzählte ihr von meinem Besuch bei Gundlach, von Schwinds Besuch in meiner Kanzlei und von dem Vertrag, den ich aufgesetzt und den beide unterschri­eben hatten. Ich erzählte ihr auch von meiner Angst, was Gundlach ihr antun könnte, wenn sie nicht mitspielte. Ich wusste nicht, wie sie, was ich ihr erzählte, aufnahm. Ich sah sie nicht an.

Ich sah über den Fluss auf die Stadt, sah den Nebel dünner werden, sich in Schwaden zerteilen und auflösen. Als ich zu reden anfing, war die Stadt vom Nebel verhüllt, als ich fertig war, lag sie in der Sonne.

Als ich sie schließlic­h ansah, hatte sie Tränen in den Augen, und ich sah rasch wieder weg. „Ist schon gut“, sagte sie mit einer Stimme, der die Tränen nicht anzumerken waren, „sind nur ein paar Tränen.“Dann fragte sie: „Warum der Vertrag? Was bringt er den beiden?“

„Ich denke, Gundlach wollte der Absprache Förmlichke­it und Verbindlic­hkeit geben, auch wenn es keine rechtliche sein kann. Früher hätte er Schwind zum Duell gefordert.“

„Und Sie? Was bringt der Vertrag Ihnen?“

„Wenn ich ihn nicht aufgesetzt hätte, hätte Gundlach einen anderen Anwalt gefunden. Und ich wüsste nicht, was er und Schwind mit Ihnen vorhaben.“

„Dürfen Sie das als Anwalt eigentlich? Zuerst den einen meiner beiden Männer vertreten, dann mit dem anderen paktieren und dann mir alles erzählen?“„Das ist mir egal.“Sie nickte. „Am Sonntag also… Nein, eine Jacht oder einen Jet hat mein Mann nicht und auch keine Insel. Aber er hat ein Landhaus. Brächte er fertig, mich zu betäuben und zu verschlepp­en? Ich weiß es nicht.“

„Ihr Mann? Sind Sie nicht geschieden?“

„Er will nicht, und seine Anwälte verzögern die Scheidung.“Ihre Stimme bekam einen gereizten Ton, ich wusste nicht, ob wegen meiner Neugier oder wegen Gundlachs Widerstand­s. „Es tut mir leid …“„Sie müssen sich nicht ständig entschuldi­gen.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany