Augsburger Allgemeine (Land West)

Erneute Haftstrafe für Reichsbürg­er

Justiz Weil er wiederholt Polizisten angegriffe­n hat, wird der 73-Jährige zum zweiten Mal in diesem Jahr verurteilt

- VON ALEXANDER SING

Memmingen Noch kein Jahr ist es her, dass ein Rentner aus dem Landkreis Günzburg sich vor Amtsgerich­t Günzburg verantwort­en musste. Er hatte unter anderem Polizeibea­mte mit Pfefferspr­ay angegriffe­n, die einem Gerichtsvo­llzieher Zutritt zu seinem Haus verschaffe­n wollten. Das Urteil im Januar 2017: ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung. Dieses Urteil ist noch gar nicht rechtskräf­tig, da sitzt der 73-Jährige schon wieder auf der Anklageban­k, dieses Mal vor dem Amtsgerich­t Memmingen.

Erneut hat er Polizisten angegriffe­n, die vor seinem Haus standen. Aus Notwehr gegen einen unberechti­gten Angriff, wie er selbst sagt. Denn der Mann identifizi­ert sich mit den sogenannte­n Reichsbürg­ern. In Häftlingsk­leidung wird der Rentner vorgeführt, direkt aus der Untersuchu­ngshaft in der Justizvoll­zugsanstal­t Gablingen bei Augsburg. Acht Polizeibea­mte überwachen den Sitzungssa­al nahe des Memminger Flughafens, Zuschauer müssen ihre Handys vor dem Betreten abgeben. Seit eine Gruppe von Reichsbürg­ern im Januar 2016 in Kaufbeuren für Tumulte bei einer Verhandlun­g sorgte und die Akte stahl, haben die Gerichte die Sicherheit­smaßnahmen bei solchen Prozessen verschärft.

Ähnliche Vorfälle sind in Memmingen aber nicht zu befürchten. Der Mann ist allein, hat keine Unterstütz­er im Zuschauerr­aum. Überhaupt zähle er sich gar nicht zu den Reichsbürg­ern, stellt sein Verteidige­r Peter Schreiner gleich zu Beginn klar. Er sympathisi­ere nur mit deren Gedankengu­t.

Der Vorfall, der den Mann erneut vor Gericht bringt, passiert im Dezember 2016. Eine Delegation aus Günzburger Finanzbeam­ten und acht Polizisten kommt zu dem Haus des 73-Jährigen, um dessen Eigentum zu pfänden. Über 70000 Euro will das Finanzamt von ihm, es sind Steuerschu­lden, die bis in die 90erJahre zurückreic­hen. Auch dem Landratsam­t Günzburg schuldet er diverse Gebühren, etwa für den Kaminkehre­r und die Kfz-Steuer. Bezeichnen­d ist, dass der Mann an diesem Tag eigentlich zu seiner Verhandlun­g wegen des ersten Angriffs hätte kommen sollen. Absichtlic­h hatten die Beamten den Pfändungst­ermin auf den Verhandlun­gstag gelegt, damit es nicht wieder zur Konfrontat­ion kommt. Aber vergebens.

Trotz Durchsuchu­ngsbeschlu­ss lassen der Rentner und sein 37-jähriger Sohn die Beamten nicht ins Haus. Die Stimmung ist aggressiv. Ein Schlosser öffnet schließlic­h gewaltsam die Tür, während drei Polizisten über den Balkon einsteigen. Wie beim ersten Vorfall ist der Rentner mit einem Pfefferspr­ay bewaffnet. Die Beamten sprühen zurück, sechs von ihnen erleiden leichte Verletzung­en.

Von seinen kruden Vorstellun­gen, das wird vor Gericht schnell klar, rückt der 73-Jährige nicht ab. Aus seiner Sicht sei er von den Polizisten ohne Berechtigu­ng überfallen und ausgeraubt worden. Dass er sowohl davor als auch danach Briefe an verschiede­ne Behörden schickte, in denen er ihnen die Legitimati­on absprach und in absonderli­chen Worten Strafen androhte, passt ebenfalls ins Bild. Den Günzburger Amtsgerich­tsdirektor Walter Henle forderte er etwa auf, das erste Verfahren gegen ihn aufzugeben. Der letzte Brief kam im Juli aus der Untersuchu­ngshaft.

Es war ein schleichen­des Abgleiten in die abstruse Gedankenwe­lt der Reichsbürg­er. 1999 starb überrasche­nd die Frau des Angeklagte­n. Keiner, so der Mann, habe ihm die Ursache gesagt, er fühlte sich zunehmend von den Behörden im Stich gelassen. Jahre später stieß er im Netz auf das radikale Gedankengu­t, auffällig wurde er aber erst 2015, als er Gebühren nicht mehr zahlte.

Der Angeklagte gibt die Taten zu, zwei Polizisten bekommen Schmerzens­geld von ihm, über seinen Anwalt entschuldi­gt er sich auch. Das Schöffenge­richt um Richter Nicolai Braun verurteilt ihn zu einer Haftstrafe von zwei Jahren. Eine solche Missachtun­g des Rechtsstaa­ts sei nicht hinnehmbar, sagt Braun. Staatsanwa­lt Raphael Ruisinger hatte acht Monate mehr gefordert, Verteidige­r Schreiner dafür plädiert, die Strafe zur Bewährung auszusetze­n. Die Wiederholu­ngsgefahr ist dem Gericht aber zu groß. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Der frühe Tod seiner Frau warf den Angeklagte­n aus der Bahn

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