Augsburger Allgemeine (Land West)
Erneute Haftstrafe für Reichsbürger
Justiz Weil er wiederholt Polizisten angegriffen hat, wird der 73-Jährige zum zweiten Mal in diesem Jahr verurteilt
Memmingen Noch kein Jahr ist es her, dass ein Rentner aus dem Landkreis Günzburg sich vor Amtsgericht Günzburg verantworten musste. Er hatte unter anderem Polizeibeamte mit Pfefferspray angegriffen, die einem Gerichtsvollzieher Zutritt zu seinem Haus verschaffen wollten. Das Urteil im Januar 2017: ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung. Dieses Urteil ist noch gar nicht rechtskräftig, da sitzt der 73-Jährige schon wieder auf der Anklagebank, dieses Mal vor dem Amtsgericht Memmingen.
Erneut hat er Polizisten angegriffen, die vor seinem Haus standen. Aus Notwehr gegen einen unberechtigten Angriff, wie er selbst sagt. Denn der Mann identifiziert sich mit den sogenannten Reichsbürgern. In Häftlingskleidung wird der Rentner vorgeführt, direkt aus der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Gablingen bei Augsburg. Acht Polizeibeamte überwachen den Sitzungssaal nahe des Memminger Flughafens, Zuschauer müssen ihre Handys vor dem Betreten abgeben. Seit eine Gruppe von Reichsbürgern im Januar 2016 in Kaufbeuren für Tumulte bei einer Verhandlung sorgte und die Akte stahl, haben die Gerichte die Sicherheitsmaßnahmen bei solchen Prozessen verschärft.
Ähnliche Vorfälle sind in Memmingen aber nicht zu befürchten. Der Mann ist allein, hat keine Unterstützer im Zuschauerraum. Überhaupt zähle er sich gar nicht zu den Reichsbürgern, stellt sein Verteidiger Peter Schreiner gleich zu Beginn klar. Er sympathisiere nur mit deren Gedankengut.
Der Vorfall, der den Mann erneut vor Gericht bringt, passiert im Dezember 2016. Eine Delegation aus Günzburger Finanzbeamten und acht Polizisten kommt zu dem Haus des 73-Jährigen, um dessen Eigentum zu pfänden. Über 70000 Euro will das Finanzamt von ihm, es sind Steuerschulden, die bis in die 90erJahre zurückreichen. Auch dem Landratsamt Günzburg schuldet er diverse Gebühren, etwa für den Kaminkehrer und die Kfz-Steuer. Bezeichnend ist, dass der Mann an diesem Tag eigentlich zu seiner Verhandlung wegen des ersten Angriffs hätte kommen sollen. Absichtlich hatten die Beamten den Pfändungstermin auf den Verhandlungstag gelegt, damit es nicht wieder zur Konfrontation kommt. Aber vergebens.
Trotz Durchsuchungsbeschluss lassen der Rentner und sein 37-jähriger Sohn die Beamten nicht ins Haus. Die Stimmung ist aggressiv. Ein Schlosser öffnet schließlich gewaltsam die Tür, während drei Polizisten über den Balkon einsteigen. Wie beim ersten Vorfall ist der Rentner mit einem Pfefferspray bewaffnet. Die Beamten sprühen zurück, sechs von ihnen erleiden leichte Verletzungen.
Von seinen kruden Vorstellungen, das wird vor Gericht schnell klar, rückt der 73-Jährige nicht ab. Aus seiner Sicht sei er von den Polizisten ohne Berechtigung überfallen und ausgeraubt worden. Dass er sowohl davor als auch danach Briefe an verschiedene Behörden schickte, in denen er ihnen die Legitimation absprach und in absonderlichen Worten Strafen androhte, passt ebenfalls ins Bild. Den Günzburger Amtsgerichtsdirektor Walter Henle forderte er etwa auf, das erste Verfahren gegen ihn aufzugeben. Der letzte Brief kam im Juli aus der Untersuchungshaft.
Es war ein schleichendes Abgleiten in die abstruse Gedankenwelt der Reichsbürger. 1999 starb überraschend die Frau des Angeklagten. Keiner, so der Mann, habe ihm die Ursache gesagt, er fühlte sich zunehmend von den Behörden im Stich gelassen. Jahre später stieß er im Netz auf das radikale Gedankengut, auffällig wurde er aber erst 2015, als er Gebühren nicht mehr zahlte.
Der Angeklagte gibt die Taten zu, zwei Polizisten bekommen Schmerzensgeld von ihm, über seinen Anwalt entschuldigt er sich auch. Das Schöffengericht um Richter Nicolai Braun verurteilt ihn zu einer Haftstrafe von zwei Jahren. Eine solche Missachtung des Rechtsstaats sei nicht hinnehmbar, sagt Braun. Staatsanwalt Raphael Ruisinger hatte acht Monate mehr gefordert, Verteidiger Schreiner dafür plädiert, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Die Wiederholungsgefahr ist dem Gericht aber zu groß. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der frühe Tod seiner Frau warf den Angeklagten aus der Bahn