Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine raue Zeit wird ausgedeuts­cht

Literatur Wie Feridun Zaimoglu im derben Ton des 16. Jahrhunder­ts einen Roman über Luther schreibt

- VON ALOIS KNOLLER Foto: dpa

Der Satan soll ihn hier besonders geplagt haben. Martin Luther auf der Wartburg ist die Geschichte eines Gehetzten, äußerlich mit dem Tod bedroht und innerlich bedrängt, das Evangelium zu verdeutsch­en. Feridun Zaimoglu versetzt sich in diese Welt mit einem Luther-Roman, der allerdings den „Ketzer“meistens aus der Warte eines sackgroben Landsknech­ts betrachtet.

Befremdlic­h klingt dieser Sound in der Sprechweis­e des 16. Jahrhunder­ts. „Der Ketzer predigt. Ich hör, wenn er spricht, tief im Schlund Käfer prasseln und, da er grollt, kleine Knochenspl­itter. Er ist nicht das, was er ist (...) Kein Prophet. Sein Heiligtum, das er gefunden hat in den Zeilen der Bücher: ein Wirbel in seinem Kopf. Die Erd wird ihn fressen. Sein Leibteufel stirbt mit ihm.“Zaimoglu bemüht sich, Luther aus den Augen seiner Zeitgenoss­en zu erleben, die sich zu diesem sonderlich­en Mönch irgendwie stellen müssen. Soweit sie überhaupt mit ihm zu tun kriegen, denn anno 1521 kreiste das Leben nicht um Luther.

Der Alltag damals ist hart und die Existenz ständig angefochte­n von Willkür, Gewalt und Aberglaube­n. Die Menschen pflegen einen rauen Umgang miteinande­r. Ein Kriegsknec­ht, dem die Waffe locker sitzt, sowieso. Zaimoglu nimmt sich einen Bewacher Luthers zum Helden, dessen Verhältnis zu dem Ketzer ambivalent ist, denn gelehrt haben sie ihn den Glauben an Hölle und Papst. Und um ihn herum spritzt das Blut, das Weib will genommen werden, der Wein gesoffen. Wären nicht in den Roman eingestreu­t Briefe Luthers an seine Vertrauten, die ein etwas feinsinnig­eres Kapitel aufschlage­n, könnte man das Buch spätestens zur Hälfte angewidert weglegen. Zaimoglus Kunstsprac­he spart keine Derbheit aus. Sie kündet von einer fernen Zeit, einer apokalypti­schen Epoche, wo der Teufel an jeder Ecke lauert und die Hexe auf dem Besen fährt, wo man die Leichentei­le von Gehenkten verkauft zum Schutz vor Schadensza­uber.

Zaimoglu belässt die Fremdheit, behandelt ausführlic­h auch die Schattense­iten Luthers, seine mönchische Geringacht­ung der Frauen, seinen Hass auf die Juden und den Papst. Nach und nach wächst jedoch die Sympathie des grobschläc­htigen Bewachers für den Ketzer. Den er zuerst für einen „geblähten Sack voller Rattenzähn­e“hielt, von ihm wird er am Ende bekennen: „Ich morde, um den Ketzer zu schützen, solang ich in seiner Nähe geduldet bin.“Zaimoglu, der Muslim, beschäftig­t sich lange schon mit Luthers Bibelübers­etzung. Erzählen wolle er die Geschichte von einem, der heute verharmlos­end als Reformator gefeiert wird, der aber viele Kämpfe ausgestand­en hat, um zu dem erlösenden Gotteswort zu gelangen. Feridun Zaimoglu: Evangelio. Kie penheuer & Witsch, 345 Seiten, 22 ¤

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