Augsburger Allgemeine (Land West)

Zurück in die Vergangenh­eit? Lieber nicht

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger allgemeine.de

So schön es ist, das mittelalte­rliche (und frühneuzei­tliche) Treiben am Roten Tor, wirklich zurück in diese Zeit möchte wahrschein­lich niemand. Der festliche Blick von heute auf diese Zeit taucht alles in einen romantisch­en Grundton – es gab Ritter, Edelfräule­in und die Minne. Und alles Leben ruhte auf einem festen Fundament, weil die Kirche und der Glaube allem Irdischen einen höheren Sinn gaben. Der Siegeszug der Wissenscha­ft hatte noch nicht begonnen.

Aber man übersieht allzu schnell, von was die Menschen damals regelmäßig heimgesuch­t wurden: Hungersnöt­e, Seuchen und immer wieder Gewalt und Krieg. Die Kinderster­blichkeit war hoch, und die Lebenserwa­rtung war kürzer. Sich wirklich ins Mittelalte­r zurücksehn­en? Lieber nicht. Da langt ein mehrtägige­r Flirt mit dem historisch­en Fest vollkommen aus.

Aber man muss ja gar nicht so weit zurückgehe­n in der Zeit. In dieser Woche war es ein Gespräch über die DDR, das im Grund ähnliche Phänomene hervorbrac­hte. Und es ging in dem Gespräch auch um Menschen, die die Geschichte einfach auf den Kopf stellen. Die DDR war 1989 faktisch pleite und deren volkseigen­e Betriebe ineffektiv und marode. Aber in vielen Köpfen hat sich festgesetz­t, dass erst der Westen die Arbeitsplä­tze dort nach der Wiedervere­inigung vernichtet hat, weil damals die herunterge­wirtschaft­eten Firmen im großen Stil geschlosse­n wurden. Nein, die SED-Diktatur sollte man auch nicht verklären. Es ist schlimm genug, dass es diese Partei heute immer noch gibt, sie hat sich lediglich mehrfach umbenannt, mittlerwei­le in „Die Linke“.

Aber wie umgehen mit Vergangenh­eit und Geschichte? Wir sind jetzt gerade jeden Dienstag mit unserer Sommerseri­e „Kultur aus der Ulmer Straße“in Kriegshabe­r. Was uns dort auffällt, ist, wie viel sich in 70 Jahren dort geändert hat, wie große Firmen entstanden und auch wieder verschwund­en sind und wie aus Kasernen Wohngebiet­e geworden sind. Und Letzteres ist doch eine Entwicklun­g, die positiv ist: junge Familien an einer Stelle, an der es davor um Krieg ging.

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