Augsburger Allgemeine (Land West)
Brecht zum Mitmachen
Aktion Die Altstadtgasse, wo sein Geburtshaus steht, wurde für zwei Tage zur Brechtmeile
„Wir spielen den Mackie-MesserSong jetzt jede Stunde, bis ihr alle neun Strophen auswendig könnt.“Die Ansage von Birgit Tomys richtet sich an lernwillige Brecht-Fans. Von denen gibt es an diesem Freitagabend im „Drunken Monkey“eine Menge. Die Kneipe liegt direkt neben dem Brechthaus und ist Teil der „Brechtmeile“, die zu Brechts Todestag am 14. August erstmals in Augsburg eingerichtet worden ist. Das gemeinsame Straßenfest bietet sich ja an, seit zu Brechthaus und Brecht’s Bistro auch noch das Drunken Monkey in der Altstadtgasse Auf dem Rain aufgemacht hat. Gut, der Sommer pausiert an diesem Wochenende, aber Brecht zieht immer.
Zumal wenn er von der charmanten Rita Romeo präsentiert wird. Die Absolventin des Maria-Theresia-Gymnasiums hat über den jungen Brecht geforscht und herausgefunden, dass er zuerst lieber Musiker geworden wäre. „Im Tagebuch seines Freundes dreht sich alles um die Musik. Die Literatur kommt darin gar nicht vor“, erzählt die junge Führerin der Gästegruppe in einer Stärke, die ein Museumszimmer gerade noch fassen kann. Rita Romeo spricht ohne Spickzettel, sie hat Brechts Leben komplett im Kopf. In der Gedenkstätte kennt sie sich ohnehin aus. Nur singen tut sie leider nicht, obwohl sie mit einem aparten Sopran gesegnet ist und schon einige Konzertauftritte hatte. Zu gern hätte man von ihr die „Erinnerung an die Marie A.“(„An jenem Tag im blauen Mond September…“) oder das Plärrerlied („Der Frühling sprang durch den Reifen…“) gehört. Einerlei. Die Gäste der Führung, darunter viele Augsburgerinnen, sind beschäftigt genug damit, die Exponate der Gedenkstätte zu betrachten und die Erklärungen zu lesen.
Von gegenüber dringt durch die Fenster schon immer die Musik von Erik Völker und Gertrud Wittkowsky. „Liederliches und Liedhaftes für Stimme und Zither“bieten der Bassbariton des Theaters Augsburg und die ausgezeichnete Zitherspielerin aus Regensburg in Brecht’s Bistro. Beim Thema Brecht und die Liebe schöpfen sie aus dem Vollen. Nichts hat den Dichter zeitlebens mehr bewegt, als das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das ein ganz zartes sein konnte, aber auch ein besitzergreifendes, ein still-erotisches, aber auch ein pornografisches. Allenfalls die lügnerische, völkische Bewegung der Nazis hat Brecht ebenso bewegt.
Ihr spüren die Professoren Frank D. Wagner und Klaus Wolf in der Philosophischen Stunde nach. Die Brechtlounge ist dicht besetzt. Beim Thema „Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt“sind ihnen aufmerksame Zuhörer und eifrige Mitdiskutanten gewiss. Wagner hat das System des Le-Geh aus Brechts „Tuiroman“ausgewählt, eine groteske These, die sagt, je erstaunlicher eine Behauptung der alltäglichen Erfahrung widerspricht, desto eher nimmt der Hörer an, dass sie den, der sie behauptet, in Erstaunen gesetzt haben musste. „Irgendetwas, was dem Hörer nicht einfiel, musste dem Behaupter wohl eingefallen sein und ihn veranlasst haben, seine Behauptung trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit aufzustellen.“
Wem fielen da nicht sofort Präsident Trumps „alternative Fakten“ein? Und sonstige abenteuerliche Behauptungen und Verfälschungen, die im Internet kursieren. Nützt es, diese beharrlich zu widerlegen?, rätseln die Diskutanten. Muss man auch auf die hinweisen, die ein Interesse an solchen Fake News haben? Hilft mehr Bildung und Aufklärung? Trifft Hannah Arendts Voraussage ein, dass sich das Böse irgendwann selbst umbringt? Oder dass wie im Märchen ein unbefangenes Kind sagt: Der Kaiser ist ja nackt! Wie im Flug vergeht die Philosophische Stunde. Das Experiment ist gelungen. Die ganze Brechtmeile ist ja ein Experiment von Regio Tourismus Augsburg, Universität Augsburg und den beiden Brechtkneipen.
Nebenan, im Drunken Monkey, zu Deutsch besoffener Affe, hat das junge Münchner Trio „Großstadt Boazn“die Kneipengänger bald in Bann geschlagen. Wenn Matthias Pürner sein Akkorden („Ziach“) tanzen lässt, wenn Birgit Tomys auf ihrem Bariton-Saxofon ein sattes Rhythmus-Fundament liefert, und wenn Berni Filser frech die Gitarre anschlägt, muss man einfach mitgehen. Das ist eine Wirtshausmusik, die aus der bayerischen Tradition schöpft und doch auch nach Weltmusik klingt. Mal melancholisch schwelgerisch, mal mitreißend fröhlich. Brechtsg st anzlh after Song vom gewitzten Gauner „Mackie Messer“, passt exakt zum „Boazn“-Sound, der 2017 den Fraunhofer Volksmusikpreis gewann. Und mitgesungen wird auch.