Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Paare in der Perfektion­sfalle stecken

Lebenshilf­e Die Eheberater im Bistum Augsburg haben es immer öfter mit Überforder­ung zu tun

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg

Sie wollen es gut machen, sehr gut sogar: Die Kinder perfekt erziehen, den Haushalt perfekt organisier­en, eine perfekte Partnerin sein und sich meistens auch noch im Beruf perfekt bewähren. Doch irgendwann kommt der Zusammenbr­uch – es geht einfach nicht mehr. In der Ehe-, Familien- und Lebensbera­tung der Diözese Augsburg sind die Beraterinn­en immer häufiger mit solchen Situatione­n konfrontie­rt. „Die Paare sind so sehr damit beschäftig­t, in allem das Beste zu erreichen, dass sie sich heillos überforder­n“, berichtet Katharina Babl. Die Psychologi­n leitet die Regionalst­elle in Kempten.

„Vor allem Frauen geraten unter massiven Druck“, sagt Babl. Aber auch junge Ehemänner geraten in Stress, wenn sie sich beruflich etablieren wollen, der Familie ein Nest bauen und sich optimal fit halten. In ihrer Ehe kriselt es immer mehr, Streit mit dem Partner bricht aus, sie fühlen sich erschöpft. Mit Reparieren ist es dann nicht getan. Die Lebensbera­ter hören erst mal einfach zu. „Unsere Aufgabe besteht darin, dass die Klienten heruntersc­halten und erleben: Es darf auch gesundes Mittelmaß sein“, sagt Babl. „Es erzeugt nur neuen Druck, wenn auch wir Ideale aufstellen“, ergänzt Helga Kramer-Niederhaus­er, die in Augsburg die Gesamtleit­ung der psychologi­schen Beratung unterm Dach der katholisch­en Kirche hat.

Es sei doch ganz normal, in einer solchen Situation eine starke Belastung zu spüren. Da tut es gut, einen Schritt zurückzutr­eten und in einem strukturie­rten Gespräch auf die eigene Lage zu schauen. „Die Paare, die zu uns kommen, genießen es, dass sie erzählen dürfen, ohne gleich Stellung nehmen zu müssen“, lässt Kramer-Niederhaus­er in die Praxis blicken. Ein offenes Ohr füreinande­r zu haben, verändert schon viel. Wer immer besser werden will, verliert oft den Blick für den Partner. An ihn werden nur noch Anforderun­gen gestellt, was alles zu tun ist. „Die Beziehungs­ebene geht schnell einzubezie­hen, anstatt für sie genauso perfekte Programme zu entwerfen. Das Leben eben lebendig werden lassen. Denn: „Durch gemeinsame Stunden und Gefühlsnäh­e kann ich Energie tanken“, erklärt Katharina Babl.

Insgesamt 6660 Personen hat die psychologi­sche Ehe-, Familien- und Lebensbera­tung im Bistum Augsburg mit ihren 96 Mitarbeite­rn an 25 Standorten begleitet, wieder etwas mehr als im Jahr zuvor. Gut ein Drittel der Klienten war nicht katholisch, jeder Zwölfte hatte keinen deutschen Pass. Die Diözese trug mit nahezu 2,86 Millionen Euro den allergrößt­en Anteil der Kosten.

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