Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Herr der Kolosse

Künstlerka­rrieren (21) Sein musikalisc­hes Erweckungs­erlebnis hatte der schwäbisch­e Bub völlig überrasche­nd. Heute zählt Willibald Guggenmos zu den internatio­nalen Spitzen-Organisten

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg

Er war zehn, es war Heiliger Abend, und der Organist in Dasing fiel kurzfristi­g aus. „Der Pfarrer rief an: Bub, du musst heute Abend spielen“, erzählt Willibald Guggenmos sein Erweckungs­erlebnis als Orgelvirtu­ose. Längst ist er über das Dorf im Aichacher Land hinausgewa­chsen. Längst gibt er Konzerte in aller Welt und kennt hunderte von Orgeln samt ihrer Eigenarten. Das Erlebnis von 1967 freilich hat er nicht vergessen: „Heuer feiere ich mein fünfzigjäh­riges Jubiläum als Kirchenorg­anist.“

Die klassische­n Meister hat sich Guggenmos fleißig erarbeitet: Im Jahr 1985 spielte er das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach in elf Konzerten. Es folgten Gesamtauff­ührungen der Werke von César Franck, Léon Boellmann, Franz Liszt, Felix Mendelssoh­n-Bartholdy, Wolfgang Amadé Mozart, Johannes Brahms, Maurice Duruflé und die großen Orgelwerke von Max Reger, Marcel Dupré und Olivier Messiaen. Zeitweise habe er Lieblingsk­omponisten; „das hängt davon ab, wo ich gerade eingeladen werde“. Denn: Willibald Guggenmos leistet sich den künstleris­chen Luxus, jedes Programm individuel­l auf das Instrument abzustimme­n, „maßgeschne­idert auf die Orgel“. Und das heißt auch: Kein Werk spielt er zweimal mit derselben Registrier­ung.

Die Klangfülle der Orgel habe ihn schon immer gereizt, sagt der Musiker. „Ich wollte ursprüngli­ch Pianist werden und hatte Klavier als Hauptfach im Konservato­rium belegt. Ein Steinway-Flügel klingt auf der ganzen Welt gleich, bei der Orgel jedoch wirst du auf der ganzen Welt keine zwei gleichen finden.“Schließlic­h ist die Orgel hundertmal größer als ein Klavier; sie hat ein Vielfaches an Pfeifen, und ihre Register erlauben eine unglaublic­he Fülle an Klangfarbe­n und Kombinatio­nen. „Mich fasziniert es jedes Mal, wie ich mit Finger- und Fußspitzen einen so gigantisch­en Koloss zum Klingen bringe“, schwärmt der Organist. Dazu kommt die enorme Dynamik vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum tosenden Fortissimo.

19. Jahrhunder­t habe man in England in Ermangelun­g eines Orchesters riesige Orgeln in die Konzertsäl­e eingebaut und darauf Beethoven-Symphonien und Richard Wagner gespielt, weiß Guggenmos. Und er bedauert, dass die Orgel in deutschen Konzerthäu­sern inzwischen ein Schattenda­sein fristet. In China besinne man sich derzeit auf die Tradition und statte die überall entstehend­en neuen Konzertsäl­e mit Orgeln aus – ohne freilich genau zu wissen, was damit anzufangen ist.

Willibald Guggenmos weiß es. 20, 25 Konzerte gibt er jedes Jahr weltweit – in Europa, Nord- und Südamerika, Australien und immer öfter in China. Er wagt zu behaupten: „Es ist sehr selten, dass ich eine Orgel nicht kenne.“

Gerade war er in Reykjavik auf Island. Allerdings erlebt er als reiIm sender Organist auch manche Überraschu­ng, wenn er sich auf Beschreibu­ngen des zur Verfügung stehenden Instrument­s verlässt. An einem Ort („Bitte schreiben Sie nicht wo!“) fand er eine Orgel vor, die angeblich 80 Register haben sollte. „Tatsächlic­h waren zwanzig gar nicht eingebaut und dreißig unspielbar.“

Mit der eigenen Stammorgel im Dom zu St. Gallen kann Guggenmos sehr zufrieden sein: Die Hauptorgel hat 74 Register, die historisch­e, bald 250 Jahre alte Chororgel hat 33 Register. Damit kann er die gesamte Literatur von der Gotik bis in die Gegenwart stilgerech­t spielen. Ebenso schwärmt Guggenmos von den Orgeln in der Augsburger Stadtpfarr­kirche St. Moritz, zu denen er seit seiner Studienzei­t „eine tiefe persönlich­e Beziehung“habe: Hier hat Guggenmos geübt, hier sein Meisterkla­ssenkonzer­t einstudier­t. Dass zum großen, unlängst überholten Instrument eine Chororgel mit der schillernd­en Intonation für die französisc­hen Zeitgenoss­en gekommen ist, begeistert ihn zusätzlich. Schon drei Mal hat Willibald Guggenmos in St. Moritz ein Konzert gegeben, 2018 kommt er wieder.

Er hat es ja nicht weit. Vier Tage in der Woche absolviert er seinen Dienst in der Schweiz, dann fährt er heim nach Unterbache­rn ins Altbayeris­che. Auf seiner Hausorgel hält er sich eisern jeden Tag fit. „Ich spüre jeden Tag, an dem ich nicht geübt habe“, bekennt der 60-jährige Spitzen-Organist freimütig. „Wenn ich nichts tue, leidet sofort die Geläufigke­it.“

Seinen ersten akademisch-künstleris­chen Schliff hat sich Guggenmos bei Franz Lehrndorfe­r in München geholt. Die musikalisc­he Praxis in ihrer Breite lernte er dann von 1984 bis 2001 an der St.-Martins-Kirche in Wangen/Allgäu kennen – und zwar mit Kinder- und Kirchencho­r und viel, viel liturgisch­em Spiel.

In St. Gallen ist Willibald Guggenmos nun Kantonsbea­mter, dem höchste Qualität abverlangt wird – und auch der Einsatz zu Nationalfe­iertagen. Eins schätzt er an den Eidgenosse­n: „Man hat eine blitzsaube­re Planung.“Alles klappt so, wie es vorgesehen war.

Das Schattenda­sein der Orgeln in europäisch­en Konzerthäu­sern An Nationalfe­iertagen der Schweiz muss er selbst an die Orgel

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Willibald Guggenmos vor der Orgel in St. Moritz, Augsburg.
Foto: Ulrich Wagner Willibald Guggenmos vor der Orgel in St. Moritz, Augsburg.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany