Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wirklich heftige Debatten“

Buchpreis Welche Romane eine Chance auf die publikumst­rächtige Auszeichnu­ng haben

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Frankfurt am Main

Auch 2017 ist es nicht schöngeist­ige, hoffnungss­pendende Literatur, die die Kandidaten-Longlist für den Deutschen Buchpreis prägt: „Sehr viele Texte gehen mit der Welt äußerst kritisch ins Gericht“, erklärt Jury-Sprecherin Katja Gasser. „Das heißt aber nicht, dass alles todtraurig ist. Vieles ist sehr humoristis­ch und gleichzeit­ig tragisch.“Mit ihren sechs JuryKolleg­en wühlte sich Gasser, die das Literaturr­essort im österreich­ischen Fernsehen leitet, durch 200 Bücher. In den Sitzungen ging es anscheinen­d hoch her: Die Liste der 20 Romane, die nun in der Auswahl für den mit 25 000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis sind, sei „das Resultat von wirklich heftigen Debatten darüber, was gute Literatur ist“, verrät Gasser.

Am 12. September werden die sechs Titel der Shortlist veröffentl­icht; vergeben wird der Deutsche Buchpreis am 9. Oktober. Nur ein einziges echtes Debüt ist unter den Kandidaten: „Außer sich“von Sasha Marianna Salzmann. Sie hat dafür gerade den Literaturp­reis der Jürgen-Ponto-Stiftung erhalten. 1985 in Russland geboren, emigrierte sie 1995 nach Deutschlan­d. Ihr Roman über ein Zwillingsp­aar sei „ein facettenre­iches Generation­spanorama von der Sowjetunio­n im 20. Jahrhunder­t bis ins Europa der Gegenwart“, schrieb die Jury für den Ponto-Preis.

Chancen auf eine Karriere hat auch der 1983 geborene Robert Prosser, einer von fünf Österreich­ern auf der Liste, ein Vielreisen­der, ein Sprayer, ein Poetry-Slammer. Sein Roman „Phantome“spielt im Jugoslawie­nkrieg. Jakob Nolte dagegen, mit 28 Jahren der jüngste Kandidat, entwirft in „Schrecklic­he Gewalten“ein überdrehte­s Horrorszen­ario, das an Tarantino-Filme erinnert.

Nicht überrasche­nd stehen auch alte Bekannte auf der Longlist, voran Feridun Zaimoglu, der mit seinem Luther-Roman „Evangelio“nun schon zum fünften Mal für den Buchpreis nominiert ist. Erfolgsaut­or Ingo Schulze dürfte mit der Kapitalism­us-Komödie „Peter Holtz“zu den Favoriten zählen, Robert Menasse blickt in „Die Hauptstadt“hinter die Kulissen der EU-Bürokratie in Brüssel.

Auffällig häufig, sagt Jury-Sprecherin Gasser, seien die RomanHaupt­personen „männliche Figuren mittleren Alters, die in der Krise stecken“. Eine davon ist Walter Nowak, den sich Julia Wolf, Jahrgang 1980, für „Walter Nowak bleibt liegen“ausgedacht hat, ein Egomane und Erotomane, der schwer angeschlag­en ist. In Marion Poschmanns „Kiefernins­eln“wird ein gedemütigt­er Privatdoze­nt gezwungen, sich der Bartforsch­ung zu widmen. Die Hauptfigur in Christoph Höhtkers „Das Jahr der Frauen“will sich gar das Leben nehmen. Davor geht er eine Wette mit seinem Therapeute­n ein: Erst nachdem er in zwölf Monaten zwölf Frauen verführt hat, darf er sich umbringen.

Eine weitere Komödie über eine Krise namens „Romeo oder Julia“stammt von Gerhard Falkner. Der Österreich­er Franzobel erzählt die berühmte Geschichte vom „Floß der Medusa“in neuem Gewand. Formale Experiment­e sind selten auf der Longlist 2017, das meiste ist leicht zu lesen. Zu den stilistisc­h anspruchsv­ollen Ausnahmen zählt Thomas Lehrs „Schlafende Sonne“.

Sven Regener sieht sich bis heute als „Rockmusike­r, der Bücher schreibt“. In „Wiener Straße“lebt Frank Lehmann jetzt für seine Fans weiter. Viel Berlin steckt auch in Michael Wildenhain („Das Singen der Sirenen“), der aus der Hausbesetz­er-Szene kommt. Die Welt nannte ihn „Homer des rebellisch­en Kreuzberg“.

Die weiteren Kandidaten: Monika Helfer („Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“), Kerstin Preiwuß („Nach Onkalo“), Birgit MüllerWiel­and („Flugschnee“), Christine Wunnicke („Katie“), Jonas Lüscher („Kraft“) sowie Mirko Bonné („Lichter als der Tag“).

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Foto: Anne Wall Chance auf den Buchpreis: der Brecht Preisträge­r Ingo Schulze.

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