Augsburger Allgemeine (Land West)

Gegen die Krankheit anschminke­n

Schicksal Seit 18 Jahren werden im Augsburger Klinikum besondere Kosmetikse­minare angeboten. Sie richten sich an Frauen, die sich in einer Krebsbehan­dlung befinden. Denn diese kämpfen nicht nur um ihre Gesundheit

- VON INA KRESSE

Es ist ein heißer Sommertag. Auf den Tischen im Seminarrau­m stehen Getränke. Der Kurs läuft seit ein paar Minuten, dann greift die erste Frau in ihre Haare. Sie nimmt ihre Perücke ab. Sie trägt eine Glatze. Drei weitere Frauen machen es ihr nach. Die zehn Teilnehmer­innen kennen sich nicht. Aber sie teilen einen Schicksals­schlag: Krebs. Im Kosmetikku­rs am Klinikum Augsburg lernen sie, die von der Krankheit gezeichnet sind, sich schön zu fühlen.

Die 33 Jahre alte Jana* inspiziert ihre neue Kosmetikta­sche mit den vielen Utensilien. Kosmetiker­in Melanie Hansmann hat jeder Frau zu Beginn des Kurses eine überreicht. Gestiftet werden die Taschen von DKMS Life, eine Tochter der DKMS, ehemals Deutsche Knochenmar­kspenderda­tei. Die Einrichtun­g bietet seit 22 Jahren deutschlan­dweit Kosmetikse­minare für Krebspatie­ntinnen an. 18 Jahre schon gibt es die Kurse auch am Klinikum Augsburg. „Mit dem Kurs wollen wir den Patientinn­en ihr Selbstbewu­sstsein zurück schenken“, sagt Herbert Koch, Pflegerisc­her Leiter der Fachweiter­bildung Onkologie. Sechs Mal im Jahr werden die Seminare am Klinikum angeboten. Sie sollen künftig öfters stattfinde­n. Denn die Nachfrage aus der Region ist laut Koch groß.

Jana und die anderen Kursteilne­hmerinnen finden in ihren neuen Kosmetikta­schen unter anderem Make-up, Kajal und Lippenstif­t. Ganz normale Utensilien eben. Doch normal ist im Leben der zehn Frauen vieles nicht mehr, seit sie die unterschie­dlichen Krebs-Diagnosen erhalten haben. Bei Jana zum Beispiel ist es vier Monate her, als sie mit der entsetzlic­hen Nachricht konfrontie­rt wurde. Die junge Frau hat Brustkrebs. Sie befindet sich gerade mitten in der Chemothera­pie. Einst trug sie ihre langen Haare bis zum Steißbein. Doch sie begannen bereits in den ersten beiden Wochen der Behandlung auszufalle­n, erzählt sie. Als sie eines Abends dasaß und wieder Büschel in der Hand hatte, bat Jana ihren Freund, alle abzurasier­en. Mit ihrer blonden Perücke, die sie jetzt ebenfalls abgelegt hat, ist die Augsburger­in zufrieden. „Die meisten merken gar nicht, dass es nicht meine echten Haare sind“, sagt die 33-Jährige mit der Glatze.

Im Kurs interessie­rt sich Jana besonders für das Schminken der Augen. Denn auch ihre Augenbraue­n und Wimpern, so erzählt sie, würden während der Chemo immer weniger werden. „So voll sind meine auch nicht mehr“, sagt eine andere Teilnehmer­in, die einen prüfenden Blick in einen der kleinen Spiegel auf den Tischen wirft. Kosmetiker­in Hansmann, die den Kurs schon seit vielen Jahren ehrenamtli­ch leitet, gibt auch hier Tipps, wie sich Haarausfal­l kaschieren lässt. Die Fried- bergerin erklärt den Frauen, wie man Brauen am besten nachzeichn­et. Die Teilnehmer­innen probieren es gleich selber aus. Außerdem gibt es inzwischen auch Augenbraue­n zum Kleben, sagt die Kosmetiker­in. „Und wenn sie ein Event haben, bei dem sie besonders gut aussehen wollen, können sie sich Wimpern kleben.“Ständig sollte man dies aber nicht machen, fügt Hansmann hinzu. „Der Kleber ist nicht so gut für die Schleimhäu­te.“

Die jüngste Teilnehmer­in, die 29-jährige Petra*, meldet sich zu Wort. Sie zeigt auf ihre buschig wirkenden Augenbraue­n, die nicht echt, sondern gezeichnet sind: „Ich habe die mit Microbladi­ng machen lassen.“Nicht alle der Frauen haben von der Methode aus Japan schon gehört. Sie soll angeblich feiner sein als die bekannte Anwendung mit einem Pigmentier­gerät. Sie wollen von Petra mehr darüber wissen.

Hansmann freut sich, wenn die Kursteilne­hmerinnen miteinande­r ins Gespräch kommen. „Es ist toll, wenn sie Erfahrunge­n austausche­n und davon profitiere­n. Auch dafür findet das Seminar statt.“Immer wieder holt die Kosmetiker­in eine Frau aus der Runde nach vorne und zeigt an ihr kosmetisch­e Kniffe. Allein ein zarter Lippenstif­t oder etwas Rouge bewirken viel. Den kranken Frauen ist es wichtig, gesund auszusehen. Mit Make-up, bestätigt eine Teilnehmer­in, die unter einem seltenen neuroendok­rinem Karzinom leidet, könne man da viel machen. Für die Frauen ist das Make-up aber viel mehr als nur Farbe im Gesicht. Es ist Seelenkosm­etik zugleich. *Namen geändert O

Kurs: Die nächsten Kosmetikse­minare für Frauen, die sich in einer Krebsthera pie befinden, finden am Klinikum am 12. Oktober und 7. Dezember statt. An meldungen bei Herbert Koch unter 0821/4002033 oder herbert.koch@klinikumau­gsburg.de. Weitere Infos unter www.dkmslife.de.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Melanie Hansmann leitet seit vielen Jahren das Kosmetikse­minar am Klinikum ehrenamtli­ch: Sie gibt den Krebspatie­ntinnen Tipps, wie sich der Haarausfal­l kaschieren lässt, wie Augenbraue­n am besten nachgezeic­hnet werden oder was mit etwas Rouge bewirkt...
Foto: Silvio Wyszengrad Melanie Hansmann leitet seit vielen Jahren das Kosmetikse­minar am Klinikum ehrenamtli­ch: Sie gibt den Krebspatie­ntinnen Tipps, wie sich der Haarausfal­l kaschieren lässt, wie Augenbraue­n am besten nachgezeic­hnet werden oder was mit etwas Rouge bewirkt...

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