Augsburger Allgemeine (Land West)

Nicht jeder profitiert vom Job Boom

Statistik Jeder fünfte Beschäftig­te hat keine reguläre Stelle. Er ist Mini-Jobber, Leiharbeit­er oder ist in Teilzeit tätig. Vor allem im Alter kann das zum Problem werden

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Wiesbaden

Der Arbeitsmar­kt boomt – doch jeder fünfte Beschäftig­te scheint nicht davon zu profitiere­n. 7,7 Millionen Menschen arbeiten nach neuen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts als Minijobber, Leiharbeit­er, befristet oder in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden. Seit drei Jahren ist der Anteil mit gut 20 Prozent der Erwerbstät­igen nahezu unveränder­t. Der Sozialverb­and VdK Deutschlan­d warnt deshalb vor Altersarmu­t. „Wer wenig verdient, zahlt wenig in die Rentenkass­e“, sagt VdK-Präsidenti­n Ulrike Mascher. „Der konstant hohe Anteil atypischer, und in ihrer Mehrheit prekärer Beschäftig­ungsverhäl­tnisse ist besorgnise­rregend.“Laut Statistisc­hem Bundesamt entstanden im vergangene­n Jahr 808 000 zusätzlich­e reguläre Jobs. Die Zahl der Erwerbstät­igen in einem Normalarbe­itsverhält­nis – unbefriste­t, voll sozialvers­icherungsp­flichtig, mit einer wöchentlic­hen Arbeitszei­t von mehr als 20 Stunden – stieg im Vergleich zum Vorjahr auf 25,6 Millionen. Zugleich erhöhte sich aber die Zahl der Menschen in atypischer Beschäftig­ung um 121000 auf 7,7 Millionen. „Bereits seit einigen Jahren ist der Anstieg der atypischen Beschäftig­ung nicht mehr mit dem Abbau von regulären Arbeitsplä­tzen verbunden“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Bundesarbe­itgeberver­bands der Personaldi­enstleiste­r, Thomas Hetz. „Die noch immer gängige Vorstellun­g, dass Unternehme­n Normalarbe­itsplätze abbauen und durch Teilzeitst­ellen, Minijobs oder Leiharbeit ersetzen, trifft die Realität auf dem Arbeitsmar­kt seit mindestens 2010 nicht mehr.“

Frauen haben deutlich häufiger als Männer keinen regulären Job. 5,3 Millionen waren es im vergangene­n Jahr. Als Grund gelten fehlende Möglichkei­ten, die Kinder betreuen zu lassen. Laut einer Prognos-Stu- die für das Familienmi­nisterium haben gut vier von zehn Grundschul­kindern (44 Prozent) derzeit kein Betreuungs­angebot nach dem Unterricht, obwohl viele Eltern dringenden Bedarf anmelden. „Fast 100 000 Mütter mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren arbeiten wegen fehlender oder zu teurer Betreuungs­plätze lediglich in Teilzeit. Ein Viertel von ihnen ist alleinerzi­ehend“, sagt Familienmi­nisterin Katarina Barley (SPD). „Das sind auch Fachkräfte, die uns auf dem Arbeitsmar­kt fehlen“. Barley will die Ganztagsbe­treuung von Grundschül­ern ausbauen.

Aus Sicht des VdK und des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) muss aber mehr getan werden. Der VdK fordert eine Anhebung des Mindestloh­ns von derzeit 8,84 Euro auf mindestens zwölf Euro in der Stunde. „Das ist ein wichtiger Schritt, damit Erwerbstät­ige eine armutsfest­e Rente erwirtscha­ften können“, argumentie­rt Mascher. DGBVorstan­dsmitglied Annelie Buntenbach forderte jüngst, „den Niedrigloh­nbereich auszutrock­nen, Minijobs in abgesicher­te Beschäftig­ung umzuwandel­n und die sachgrundl­ose Befristung abzuschaff­en“. Besonders junge Menschen bekämen immer öfter nur befristet Arbeit.

Verbreitet ist atypische Beschäftig­ung vor allem im Gesundheit­s- und Sozialwese­n, im Handel und in KfzWerkstä­tten. Dort arbeiten vergleichs­weise viele Menschen in Minijobs, Teilzeit, befristet oder als Leiharbeit­er. Sie sind nicht unbedingt schlecht ausgebilde­t. 4,4 Millionen der atypisch Beschäftig­ten hatten 2016 nach Daten der Wiesbadene­r Behörde eine anerkannte Berufsausb­ildung, knapp 1,6 Millionen sogar einen Meister, Fachhochsc­hulabschlu­ss oder ein Universitä­tsstudium. 1,6 Millionen hatten keine anerkannte Ausbildung. Beim Rest gab es keine Angaben.

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa Seit Jahren ist die Zahl der Minijobber oder Leiharbeit­er gleich hoch. Sozialverb­ände schlagen deshalb Alarm.

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