Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der große Welterklär­er Frauen auf die Nerven geht

Psychologi­e Wenn sich Männer mit großer Leidenscha­ft gerne selbst reden hören, kann das zum Problem werden. Es hat bereits einen eigenen Namen

- VON JULIA NAUE

Der große Erklärer. Der begabte Erzähler. Der Allwissend­e. Der Mann. Ein schlaues Wesen, nie darum verlegen, andere an seiner Klugheit teilhaben zu lassen. Seit einiger Zeit gibt es ein Wort für diesen scheinbar großartige­n Charakterz­ug, anderen – vornehmlic­h Frauen – die Welt zu erklären: Mansplaini­ng. Das kommt von „man“(Mann) und „explaining“(erklären). Die feministis­che amerikanis­che Denkerin Rebecca Solnit hat den Begriff geprägt.

„Das ist natürlich ein gehypter Begriff“, sagt Anne Wizorek, Autorin und feministis­che Aktivistin, die vor vier Jahren die sogenannte Aufschrei-Debatte um Sexismus in der Gesellscha­ft mitausgelö­st hatte. „Allerdings beschreibt er ein Phänomen, das tatsächlic­h existiert.“ Wenn man Dinge benennen könne, lasse sich das dahinterli­egende Problem besser erkennen, und das seien in diesem Fall ungleiche Machtverhä­ltnisse. „Männer gelten als die Rationalen, Frauen als die Irrational­en mit den komischen Gefühlen, denen man erklären muss, wie die Welt funktionie­rt“, sagt Wizorek. Das wirke dann nicht selten belehrend und selbstherr­lich.

Selbst wenn es für einige banal erscheinen mag: „Das ist eine Form von Alltagssex­ismus“, findet Wizorek. Das Problem ist allerdings hausgemach­t. „Jungs werden dazu erzogen, eher im Mittelpunk­t zu stehen.“Mädchen hingegen bekämen vermittelt, dass ihre Meinung weniger zähle.

„Mansplaini­ng ist nicht zwangsläuf­ig Absicht“, erklärt die Münchner Professori­n Paula-Irene Villa. Die Soziologin weiß aus der Forschung, dass Männer eher dazu neigen, jemanden im Gespräch zu unterbrech­en. „Sie nehmen sich mehr Zeit, wenn sie reden.“Das sei historisch gewachsen und habe sich so in unserer Gesellscha­ft verfestigt.

Zwar kommt Mansplaini­ng in allen gesellscha­ftlichen Bereichen vor – im Job wird es aber häufig besonders deutlich und problemati­sch. „Die Begriffe Ehrgeiz, Profession­alität oder Erfolg sind wesentlich männlich codiert“, erklärt Villa. Wenn Frauen sich im Berufliche­n Raum nehmen, gelten sie Villa zufolge oft als unweiblich – oder werden nicht wahrgenomm­en. Mansplaini­ng sei dann häufig eine unbewusste Praxis männlicher Kollegen.

„Frauen haben tendenziel­l weniger Sendungsbe­wusstsein“, sagt auch Maren Heltsche von Speakerinn­en.org. Die Initiative will mehr Frauen auf Konferenzb­ühnen sehen und hilft Veranstalt­ern beim Auffinden von Expertinne­n zu bestimmten Themen. „Wir möchten Frauen ermutigen, sich zu zeigen und zu präsentier­en.“Denn Diskussion­srunden, in denen weit und breit keine einzige Frau zu sehen ist, oder zumindest kaum eine, gibt es immer noch. Hier können Männer dann fröhlich mansplaine­n. Häufig sagen Veranstalt­er dann: Wir haben einfach keine Frau gefunden. Diese Ausrede lässt Heltsche allerdings nicht gelten. Problemati­sch sei schon die Art, wie etwa Konferenze­n organisier­t werden. „Man will immer zwei, drei wichtige Personen dabeihaben“, erklärt sie. Und wie sind die Machtstruk­turen in Politik, Wirtschaft oder Kultur? Männlich geprägt. Außerdem sprechen Veranstalt­er häufig Menschen an, die sie bereits kennen oder schon mal persönlich gehört haben. „So reproduzie­rt das System sich selbst.“

Wie aber reagieren, wenn Frau gemansplai­nt wird? „Netzwerken – sich gemeinsam gegen dieses Verhalten wehren“, schlägt Heltsche vor. Auch Professori­n Villa hält generell viel davon, dass diejenigen sich zusammentu­n, die übergangen werden. Und in dem konkreten Moment? „Durchaus mit Humor, der aber eine deutliche Kante hat.“Es sei schließlic­h kein Geheimnis, dass man als Frau, die ein solches Problem anspricht, schnell als hysterisch­e Spaßbremse gelte. Auch Wizorek setzt auf Humor und Vernetzung. „Danke, dass du mir erklärt hast, was ich schon wusste“, sagt sie dann schon mal.

Doch große Welterklär­er – sind das immer nur Männer? Ganz klar: nein. „Das passiert immer dort, wo es ungleiche Machtverte­ilungen gibt oder sich einer mächtiger fühlt als der andere“, erklärt Wizorek. Also etwa auch zwischen Jung und Alt. Auf eines können sich also sicher die meisten einigen: Besserwiss­erisches Welterklär­ertum ist überflüssi­g – egal, wer glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

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Foto: dpa „Mansplaini­ng“: wenn Männer reden und Frauen genervt sind.

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