Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Urknall der Pop Musik
Unterhaltung Vor 90 Jahren sorgte ein Visionär in der US-Provinz für den Durchbruch eines Rezepts, auf dem bis heute eine weltweite Industrie basiert. Erst jetzt, mit der Digitalisierung, könnte das Erfolgsmodell ins Leere laufen
Visionäre müssen wohl einfach auch kaltschnäuzig sein können – vor allem, wenn sie durch ihre Entdeckungen oder Entwicklungen nicht nur die Menschheit voranbringen wollen, sondern auch sich selbst.
Der legendären Kaltschnäuzigkeit eines Mannes namens Ralph Peer jedenfalls ist es zu verdanken, dass Musik als Unterhaltungsgeschäft vor 90 Jahren zu einem Quantensprung ansetzte – aber auch, dass er selbst als so etwas wie der „Erfinder der Popmusik“nicht nur reich, sondern gleich unsterblich wurde. Auch ein weltweit operierendes Unternehmen seines Namens – nach wie vor in Familienhand – hält sich bis heute in der Branche: „peermusic“nämlich, wo Stars von Ed Sheeran bis Shakira unter Vertrag stehen. Tatsächlich jedenfalls fußt auf dem, was sich dieser Mann damals clever ausgedacht hat, die ganze Branche.
Ralph Peer wurde 1892 in Kansas City geboren; seine Eltern stammten aus Bergarbeiter- und Bauernfamilien, wollten selbst aber mehr: Sie eröffneten ein Geschäft für Nähmaschinen – und für Grammophone. Auf denen wurden in jener sehr frühen Zeit der Tonaufzeichnung Schellackplatten mit schlechter Tonqualität aufgelegt. Das meiste Geld verdienten damals die großen Musikalienfirmen wie RCA und Edison ohnehin noch mit dem Verkauf gedruckter Noten. Wenn es einen Plattenstar gab, dann war es der Tenor Enrico Caruso mit Arien und Volksliedern.
Der Rest aber funktionierte wie die Aufnahme der ersten Jazz-Platte vor jetzt 100 Jahren: Man engagierte einfach Musiker und ließ sie die je nach Genre am meisten verbreiteten Standardsongs einspielen – wie 1917 die natürlich weiße „Original Dixieland Jass Band“. Auf diese Art hatte schon der junge Ralph Peer dem kleineren Wettbewerber Okeh Records neue musikalische Pfade erschlossen. Denn vor allem all die Hillbillys und Hispanics, die in die Städte gen Norden gezogen waren, sehnten sich nach dem Klang und den Liedern ihrer Heimat. Und so warfen auch diese Sparten schon Profit ab, bevor es den Country namentlich überhaupt gab.
Vor der bald folgenden Erfindung des Popgeschäfts aber lag die techni- Neuerung: Als die Erfindung des auch zu Aufnahmen tauglichen Mikrofons deutlich bessere Ergebnisse versprach, sah Ralph Peer voraus, dass sich dies die finanzstarken Unternehmen wie RCA zunutze machen würden – und entwickelte einen eigenen kaltschnäuzigen Plan. Er bot ihnen seine Dienste an und verlangte – nachdem man seine ursprünglich ziemlich hohe Gehaltsforderung abgelehnt hatte – einfach überhaupt keinen Grundverdienst, dafür aber die Beteiligung an den von ihm generierten Umsätzen.
Doch was hatte er sich einfallen lassen, das ihn so erfolgsgewiss sein ließ? Da sich in den Nachkriegsjahren der Absatz von Grammophonen und Platten regelmäßig verdoppelte, gleich zweierlei Einschneidendes. Erstens: Ralph Peer fährt im August 1927 mit einem Transporter voller Aufnahmeausrüstungen zu einem Musikertreffer ins ländliche Bristol, Tennessee, um diese dort selbst direkt einspielen zu lassen – und zwar nicht irgendwelche Standards, sondern ihr selbst geschriebenes Liedgut. Die Musiker als ei- Marke – so entdeckte und schuf Ralph Peer erste Stars wie etwa die Carter Family und Jimmie Rodgers.
Und zweitens: Waren bis zu diesem Zeitpunkt die Musiker immer nur mit einer winzigen Einspielgage abgespeist worden, schloss Peer nun mit ihnen regelrechte Verträge. In ihnen sicherte er vergleichsweise höhere Verdienste zu, kassierte dafür