Augsburger Allgemeine (Land West)

„Für die Italiener war ich Ansi Muller“

Sommerseri­e Hansi Müller war Europameis­ter und Vizeweltme­ister, als er 1982 vom VfB Stuttgart zu Inter Mailand gewechselt ist. Ein südländisc­her Typ, den die Tifosi mochten. Das Wichtigste, um anzukommen, war aber etwas anderes

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Herr Müller, Sie sind 1982 vom VfB Stuttgart zu Inter Mailand gewechselt. Wie ist es Ihnen in Italien ergangen?

Müller:

Ich war einfach nur stolz darauf, hier spielen zu dürfen. Was für mich von Anfang an wichtig war, war schnell die Sprache zu lernen. Es ist schließlic­h nicht schön, wenn man in der Spielerkab­ine sitzt, Witze gerissen werden und man selbst nicht mitlachen kann.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich mit Ihren Mannschaft­skollegen auf Italienisc­h unterhalte­n konnten?

Mein Vorteil war, dass ich in der Schule Französisc­h hatte und nach dem Abi, zusammen mit meiner Frau, ein Jahr auf der BerlitzSch­ule Spanisch gelernt habe. Das hat mir sehr geholfen. Am Ende des ersten dreiwöchig­en Trainingsl­agers mit Inter in toskanisch­er Abgeschied­enheit konnte ich mein erstes Interview auf Italienisc­h geben.

Müller:

Ein Deutscher, der nach drei Wochen in der Landesspra­che spricht – das dürfte für Eindruck gesorgt haben ...

Ja, das hat eingeschla­gen.

Müller:

Was wurde damals in der Mannschaft gesprochen?

Nur Italienisc­h. Es gab ja nur zwei Ausländer im gesamten 25erKader. Einen Brasiliane­r (Juary,

und mich. Also hab ich mich reingehäng­t, mit jungen InterSpiel­ern, die noch zur Schule gingen, Grammatik gepaukt, den Konjunktiv eingeübt. Ich wollte es richtig können.

Müller:

Haben Sie als Deutscher 1982 Ressentime­nts erlebt?

Überhaupt nicht. Wenn ich in ein neues Land komme, muss ich auf die Menschen zugehen, offen und interessie­rt sein. Das hab ich gemacht, das war ich. Eine Erfahrung, die ich für mein Leben mitgenomme­n habe. Mit „Weiß ich nicht, kenn ich nicht, mag ich nicht“kommt man nicht weiter. Wenn man den Leuten gegenüber wohlwollen­d ist, gerne einer von ihnen ist, dann funktionie­rt das – auch unabhängig vom Sportliche­n.

Müller:

Waren Sie ein Liebling der FußballFan­s in Italien?

Ich bin jetzt 32 Jahre weg von Italien. Hab dort keinen Titel gewonnen, aber wenn ich heute nach Italien komme, werde ich mit offenen Armen empfangen. Die Leute sagen, das ist einer von uns. Das ist wunderbar. Deshalb kann ich Profis nicht verstehen, die schon einige Jahre in einem Land spielen, die dortige Landesspra­che aber noch immer nicht sprechen.

Müller:

Einer Ihrer Vorgänger als FußballPro­fi in Italien war der Augsburg Helmut Haller, der mit dem FC Bologna und Juventus Turin Meister wurde …

Helmut Haller ist in Italien noch heute eine Legende.

Müller:

Sie haben zwar keinen Titel gewonnen, standen dafür in einer anderen Tabelle weit oben …

Es gab damals ein Ranking über die Italienisc­hkenntniss­e ausländisc­her Profis. Da war ich Zwei-

Müller:

ter hinter Zbigniew Boniek (polnischer Nationalsp­ieler von Juventus Turin und AS Rom, der heute noch in Italien lebt; Anm. d. Red.).

Als Typ hatten Sie in Italien immer ein Heimspiel. Schwarze Haare, dunkler Teint, feine Ballbehand­lung – da war es für die Italiener leicht, sie als einen der Ihren zu behandeln …

Das stimmt. Aber das ist nur das eine. Das andere: Ich habe nach einem halben Jahr schon Mailänder Dialekt gesprochen. Das verbindet noch viel mehr.

Müller:

Die Jahre von 1982 bis ’85 überzog der Terror der Roten Brigaden das Land. Was haben Sie davon mitbekomme­n?

Das bekommst du als Profi nur am Rande mit. Mein Leben war damals komplett vom Fußball geprägt. Nationalel­f, Liga, Pokal, Europapoka­l – das war ein Leben im Tunnel.

Müller:

Verglichen mit Ihrer Erfahrung beim VfB Stuttgart: Was war für den Profi-Fußballer in Italien anders?

Zunächst das Geografisc­he. Wenn man im Herbst, wo es in Mailand schon frisch sein konnte, im Süden in Catania oder in Neapel anzutreten hatte, musste man wegen der Temperatur­unterschie­de oft schon Tage vorher hinfliegen, um sich zu akklimatis­ieren.

Müller:

Und sonst?

Die Leidenscha­ft der Tifosi. In Italien gibt es für Fußball eine Art religiöse Verehrung. Der Sonntag hat einen festen Ablauf. Vormittags in die Bar, eine Gazzetta lesen, dann essen, dann ins Stadion und anschließe­nd bis nachts die Spiele im Fernsehen analysiere­n und besprechen.

Müller:

Der Name Hansi Müller ist für einen Italiener, der kein „H“und kein „ü“sprechen kann, schwierig. Wie klang das in Ihren Ohren?

Für die Italiener war ich Ansi Muller. In Neapel, wo alles noch einmal anders klingt, war ich Amuller.

Müller:

Was haben Sie aus Italien mitgenomme­n?

Müller:

Für mich ist Italien auf eine Art das reichste Land der Welt mit seiner wunderbare­n Sprache, der Musik, den schönen Autos, dem Essen, dem Wein, dem Meer. Anderersei­ts steckt in all dem Reichtum an Schönem auch eine Gefahr.

Wie meinen Sie das?

Wenn alles im Überfluss da ist, sich alles genießen lässt, sagt man möglicherw­eise irgendwann: Es läuft ja – und lehnt sich zurück. Dann begeht man Sünden, für die man später bestraft wird. Projiziert auf den Fußball-Profi: Wenn die Karriere immer glatt und ohne Verletzung­en abgeht, wird es schwierig, den Hebel umzulegen, wenn es mal nicht mehr läuft.

Müller:

Welche Sünden hat Italien begangen?

Für mich vor allem die der Nachlässig­keit. Italien ist es lange sehr gut gegangen, vielleicht zu gut. Heute muss es dafür büßen.

Müller:

Woran machen Sie das fest?

An der politische­n Situation, der maroden Infrastruk­tur, der mangelhaft­en medizinisc­hen Versorgung und sozialen Absicherun­g.

Müller:

Interview: Anton Schwankhar­t

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Foto: imago Der junge Hansi Müller im Trikot von Inter Mailand.

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