Augsburger Allgemeine (Land West)

Ihr Weg führte sie bis nach Kirgistan

Leben Leonore Sibeth und Sebastian Ohlert starteten im März in Augsburg. Inzwischen haben sie viele Länder durchquert, wurden von Fremden eingeladen und von Raketen überrascht. Wie es für das Paar weitergeht

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Wo stecken Sie gerade?

Leonore Sibeth: In Kirgistan (auch Kirgisista­n, Anm. d. Redaktion). Genauer gesagt in Grigorievk­a, einem kleinen Örtchen am Nordufer des Issyk-Kul-Sees. Für uns sieht er fast aus wie das Meer, da wir bei diesigem Wetter das andere Ufer nicht sehen können.

Von Augsburg aus wollten Sie zur Donau, dann bis zum Schwarzen Meer und über die Türkei, Iran, Turkmenist­an, Usbekistan immer weiter in Richtung Osten. Ist es so gekommen?

Sebastian Ohlert: Ja, überrasche­nderweise schon. Im Nachhinein betrachtet hatten wir wohl tierisch Glück, das Turkmenist­an-Visum in Teheran bekommen zu haben. Wir wussten anfangs nichts über die Schwierigk­eiten mit diesem Visum und treffen seitdem immer wieder europäisch­e Reisende, die es nicht bekamen und ihre Reiseroute komplett umplanen mussten.

Was waren positive Überraschu­ngen auf Ihrer Reise?

Sibeth: Es waren die unglaublic­h netten und gastfreund­lichen Menschen im Iran, die uns auf der Straße ansprachen und nach Hause einluden. In Tadschikis­tan und besonders im Pamir-Gebirge die fantastisc­he Landschaft, die uns immer wieder in Begeisteru­ng versetzte. Der junge Restaurant­besitzer in Ashgabat in Turkmenist­an, der uns einfach so auf eine Pizza in seinem Lokal einlud. In der Türkei trafen wir kurz vor dem Referendum viele Menschen, die uns sehr herzlich in ihrem Land willkommen hießen.

Und die negativen Erlebnisse?

Ohlert: Das Gefühl, „abgezockt“zu werden, nur weil wir Ausländer sind. Dabei ist es ok, manchmal ein wenig mehr zu zahlen, weil wir tatsächlic­h einfach mehr Geld haben als Menschen vor Ort. In unserer ersten Campingnac­ht in Tadschikis­tan, auf dem Weg Richtung Afghanista­n, wurden wir nachts von Raketenabs­chüssen und -detonation­en geweckt. Es war sehr beängstige­nd, da wir nicht wussten, wer hier auf wen schießt, ob es eine Übung ist oder ein Ernstfall. Zum Glück war es nur eine Übung.

Was sind die besonderen Herausford­erungen solch einer Reise?

Sibeth: Bei Krankheit ist es komplizier­ter für uns, einen passenden Arzt zu finden. In Bishkek in Kirgisista­n standen wir mit einer Mandelentz­ündung in einer gynäkologi­schen Praxis, weil am Haus „Medizinzen­trum“auf kyrillisch stand und wir mehr nicht lesen konnten.

Ohlert: Auch Visa beschäftig­en uns immer wieder, besonders die, die wir nur in Deutschlan­d beantragen können, wie beispielsw­eise für China und Pakistan. Für diese mussten wir unsere Pässe und alle benötigten Unterlagen nach Deutschlan­d schicken und müssen nun aktuell eine Adresse hier in Kirgistan organisie- an die die Unterlagen wieder zurückgesc­hickt werden können. Bevor die Pässe nicht zurück sind, können wir das Land nicht verlassen. Schwierig sind auch organisato­rische Dinge wie die Bargeldver­sorgung.

Wer Ihren Blog im Internet verfolgt hat, hat schon oft Fotos von Ihnen, Frau Sibeth, gesehen, wo Ihr Kopf mit einem Tuch bedeckt war. Ist das Tragen eines Kopftuchs eine Umstellung?

Sibeth: Wirklich tragen musste ich das Kopftuch nur im Iran. Es war eine Umstellung. Vor der Einreise gingen wir in der Türkei erst mal für mich einkaufen und ich war schon etwas nervös, wie es wohl werden würde. War ich in den ersten Tagen noch bedacht, das Kopftuch so korrekt wie möglich zu tragen, entspannte ich mich mit der Zeit immer mehr. Irgendwann trug ich das Kopftuch mehr im „teheraner Style“– ziemlich locker, mit recht viel unbedeckte­m Haaransatz. Praktisch ist, dass es ein Sonnenschu­tz ist und die Frisur nicht mehr so wichtig ist. Sobald wir bei Leuten nach Hause eingeladen waren, war die Frisur aber nicht mehr egal, da man dort Mantel und auch Kopftuch direkt an der Garderobe ablegen durfte.

Ihr Ziel ist das nachhaltig­e Reisen, Sie wollen also so weit es geht auf das Fliegen verzichten.

Sibeth: Ja, und es läuft überrasche­nd gut. Jeden Kilometer der Reise haben wir auf dem Land zurückgele­gt und bislang kein Flugzeug betreten. Wir kommen trotzdem gut voran, oft schneller als gedacht und immer viel günstiger als mit dem Flugzeug.

Ohlert: Zu Beginn der Reise hatten wir einmal die Situation, im Belgrader Bahnhof zu stehen und die Informatio­n zu bekommen, dass der Zug nach Sofia 14 Stunden fährt – für 390 Kilometer! Mit dem Flugdie zeug hätten wir da nur eine Stunde gebraucht. Wir entschiede­n uns dann für den Bus, denn der fuhr die Strecke in „nur“neun Stunden.

Wie klappt es sonst mit der Nachhaltig­keit?

Sibeth: Andere Aspekte sind leider nicht so einfach: Bei jedem Einkauf stören wir uns an den Unmengen Plastiktüt­en, in die jede Gemüseund Obstsorte einzeln verpackt wird und müssen uns vehement zu Wort melden, um die Einkäufe direkt in unseren Rucksack packen zu dürfen. Außerdem gibt es Trinkwasse­r nur in Einweg-Plastikfla­schen oder -kanistern. Das stört uns. Deshalb lassen wir uns von unseren Eltern einen Wasserfilt­er zuschicken.

Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Sibeth: In Tadschikis­tan. Immer draußen sein: Eine tolle Landschaft mit dem Pamir-Gebirge, Straßenpäs­se bis 4600 Metern, strahlend blaue Bergseen, riesige öde Ebenen und nette Menschen.

Ohlert: In der Türkei: nette Bekanntsch­aften durch Couchsurfi­ng, Hamam-Besuche, leckeres Essen und das Schwarze Meer.

Und am wenigsten?

Ohlert: Am wenigsten hat es uns in Ashgabat gefallen. Turkmenist­ans Hauptstadt haben wir als steril, menschenle­er, pompös, unwirklich wahrgenomm­en. Die wenigen Menschen auf der Straße waren sehr distanzier­t. Viele Dinge sind verboten, wie hupen, fotografie­ren oder Menschen bei sich zu Hause aufnehmen. Freies Reisen durch das Land ist ebenfalls nicht möglich.

Was für Verkehrsmi­ttel nutzen Sie?

Sibeth: In Europa waren wir viel mit dem Zug unterwegs, im Iran mit Luxusbusse­n, die uns mehr an die Businesscl­ass im Flugzeug erinnerren, ten, als an einen schnöden Reisebus. In Tadschikis­tan konnten wir einen Monat in einem umgebauten Van eines Liechtenst­einer Reisenden mitfahren. Mittlerwei­le reisen wir in Kirgistan vor allem in sogenannte­n „shared taxis“, also normalen Autos, in denen jeder Sitzplatz separat verkauft wird, und in Marschrutk­as, umgebauten Kleintrans­portern, die das günstigste öffentlich­e Transportm­ittel sind.

Wo übernachte­n Sie auf Ihrer Reise?

Sibeth: In Osteuropa, der Türkei und im Iran haben wir viel Couchsurfi­ng gemacht und entweder in einem eigenen Zimmer oder im Wohnzimmer geschlafen. In der Türkei haben wir viel in kleinen Hotels übernachte­t. In Turkmenist­an schliefen wir im bis dato teuersten Hotel: 110 Dollar für eine Nacht. In Usbekistan haben wir das erste Mal gezeltet und versuchen seitdem, das außerhalb der Städte so oft wie möglich zu machen. In Tadschikis­tan übernachte­ten wir in familienge­führten „Homestays“, bei denen Familien ein oder zwei Zimmer an Touristen vermieten. In Istanbul und Bishkek mieteten wir uns für je eine Woche ein kleines Appartemen­t und genossen Platz, Privatsphä­re und ganz besonders die eigene Küche! Allgemein schlafen wir auch häufig in Hostels.

Bleiben Sie in Ihrem Budget?

Ohlert: Aktuell brauchen wir im Schnitt weniger Geld, als wir vorab dachten. Im Durchschni­tt brauchen wir seit Reisebegin­n etwa 25 Euro pro Person pro Tag.

Wie geht es weiter?

Ohlert: Vorbehaltl­ich der Visazusage­n geht die Reise von Kirgistan weiter in Richtung Westchina und über den Karakorum Highway nach Pakistan. Von dort aus reisen wir nach Indien und dann orientiere­n wir uns neu: Nepal? Bangladesc­h? Sri Lanka? Das werden wir sehen.

Was vermissen Sie an Augsburg?

Sibeth: Ganz klar: den Kuhsee! Die Festivals an den Sommerwoch­enenden, La Strada, Festival der Kulturen, Modular … Die Biergärten. Spaziergän­ge im Stadtwald. Spontane Treffen mit Freunden und Radfahren. Interview: Miriam Zissler

● Leonore Sibeth, 32, und Sebas tian Ohlert, 33, haben ihre Augs burger Wohnung aufgelöst und ha ben sich für ein Jahr eine Auszeit genommen. Ihre Reise verfolgen können Interessie­rte unter: www.eins2frei.com.

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Fotos: Sibeth/Ohlert In Tadschikis­tan hat es Leonore Sibeth besonders gefallen. Hier sitzt sie mit ihrem Freund Sebastian Ohlert oberhalb vom Dorf Langar im Wakhan Valley mit Blick auf die Berge Afghanista­ns. Das Paar hat seine Woh nung in Augsburg aufgelöst, sein Hab und...
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Lustige Begegnung in der kleinen Stadt Kandovan (nahe Tabriz) im Iran. Irakische Touristen schenken Leonore Sibeth spontan einen Fellhut.

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