Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Umzugshelf­er für Ameisen

Natur Franz Bürger aus Nordendorf ist Ameisenheg­er. Im Wald zwischen Streitheim und Ehgatten muss er demnächst vier Hügel mit Millionen Tierchen umsiedeln. Warum das wichtig ist und wie es funktionie­rt

- VON MANUELA BAUER

Wenn man so will, betreibt Franz Bürger ein kleines Umzugsunte­rnehmen. Klein nicht, weil es so wenig zu transporti­eren gäbe, sondern weil die Kunden so klein sind: Franz Bürger zieht Ameisen um. Ohne seine Hilfe würden sie oft Förstern, Gartenbesi­tzern oder Bauarbeite­rn zum Opfer fallen.

Doch die Rote Waldameise stehe unter Naturschut­z, und zwar schon seit etwa 200 Jahren, betont Bürger. Er kommt aus Nordendorf und ist seit drei Jahren der ehrenamtli­che Vorsitzend­e der Ameisensch­utzwarte Bayern. Die Mitglieder kümmern sich vor allem um die hügelbauen­den Ameisenart­en – die meisten anderen, die man zum Beispiel in Gärten findet, sind nicht geschützt und „vor allem lästig“, sagt Bürger. 87 Völker haben er und seine Kollegen von der Ameisensch­utzwarte im vergangene­n Jahr in Bayern umgesiedel­t. Sie bringen die Ameisen zum Beispiel in Sicherheit, wenn Baugebiete ausgewiese­n oder Radwege gebaut werden. Beim Ausbau der Autobahn war Franz Bürger im Einsatz, und kürzlich auch in einem Vorgarten in Ehingen, wo die Tierchen einen Holzstromm­ast ausgehöhlt hatten.

Zurzeit ist sein Wissen im Wald zwischen Ehgatten und Streitheim gefragt. Dort haben die Vorbereitu­ngen für die Adelsriede­r Umgehung begonnen. Bevor die Straßenbau­arbeiten beginnen, muss Bürger vier Ameisenhüg­el umziehen. Sie sind schon mit rot-weißem Band abgesperrt, auf den Bäumen daneben steht in leuchtend roter Farbe „Ameisen“. Bürger beobachtet eine Zeit lang das Krabbeln und meint dann zufrieden: „Die Ameisen fühlen sich noch sichtlich wohl.“Nur ein paar Meter entfernt wurden schon Bäume gefällt, davor hat er alles aus Ameisensic­ht begutachte­t. „Das ist hier vorbildlic­h gelaufen“, sagt Bürger. „Anderswo machen die Förster die Hügel mit ihren riesigen Rädern platt.“

Bis zum Umzugstag dauert es noch ein bisschen. Denn die beste Zeit dafür ist im Frühjahr. Dann findet nämlich die „Sonnung“statt: „Die Ameisen kommen an die Oberfläche und lassen sich von der Sonne auftanken“, erklärt der Experte. „Sie nehmen die Wärme mit hinein in den Hügel und die Königinnen beginnen zu legen.“Das ist die Gelegenhei­t für die menschlich­en Umzugshelf­er. Denn ein Ameisenhüg­el ist fast wie ein Eis- berg. Die Faustregel lautet: So hoch wie der Hügel aus dem Boden schaut, so tief geht er auch in den Boden. Im Frühling ist der sogenannte Nestkern – also da, wo sich die meisten Ameisen aufhalten – wegen der Sonnung weit oben. Die Ameisenheg­er bekommen so leichter viele Tiere zu fassen. „Es ist wichtig, dass wir das ganze Volk umsiedeln“, erklärt Bürger. Damit der Umzug gelingt, müsse er 80 bis 90 Prozent der Tiere erwischen. In einem Hügel leben mehr als eine Million Arbeiterin­nen und manchmal einige Hundert Königinnen.

Voraussich­tlich Ende März werden Bürger und seine Helfer – auch seine Ehefrau und sein Sohn sind ausgebilde­te Ameisenheg­er – also die vier Hügel umsiedeln. Ausgestatt­et mit Handschuhe­n, Schutzanzu­g und Schutzbril­le, denn die Ameisen versprühen ja ihre Säure, wenn sie sich bedroht fühlen. Der Umzug ist Handarbeit. „Mit Maschinen würde man zu viel kaputt machen“, sagt der Experte. Mit den

bloßen Händen graben sie das Nest aus und füllen Tiere und Material in Kunststoff­regentonne­n. Vier bis fünf solche Fässer wird er für einen Hügel brauchen.

Die neue Heimat muss dann mindestens 300 Meter entfernt sein – „sonst wandern sie wieder zurück“. Ideal wäre ein Baumstrunk, da können die Ameisen gut ihre Gänge bauen. Bürger blickt sich im Streitheim­er Forst um. Er sei zuversicht­lich, dass er hier gute neue Plätze finden wird, sagt er dann. Dort wird er den Hügel aus den Fässern in der umgekehrte­n Reihenfolg­e wieder aufbauen – und gleich noch etwas Futter dazulegen. Innerhalb weniger Stunden sollte das alles erledigt sein. „Die Ameisen richten das Nest dann wieder so her, wie sie es brauchen.“

Sie sind schließlic­h besonders fleißig. Das sieht jeder, der sich den Hügel neben der Straße nach Streitheim genau ansieht. Alles krabbelt, alles raschelt. Die Ameisen sammeln ständig neues Baumateria­l und Futter, transporti­eren Äste und Insekten. „Sie schaffen das 40-fache ihres Körpergewi­chts“, sagt Bürger, und zeigt auf ein Paar, das gerade ein dickes Stück Zweig den Hügel hinaufhiev­t. „Wenn wir so eine Kraft hätten, könnten wir ein ganzes Auto tragen.“Das ist nicht nur fasziniere­nd, sondern auch nützlich. Ein Volk fange bis zu 100 000 Schadinsek­ten am Tag, auch den gefürchtet­en Eichenproz­essionsspi­nner. Und Ameisen hätten noch weitere wichtige Aufgaben, betont Bürger und zählt auf: Sie verbreiten ähnlich wie Bienen viele Pflanzensa­men, die wiederum Nahrung für Insekten sind. Sie lockern die Erde auf; sie retten Baumläuse; sie sind Nahrung für Vögel und Amphibien. Und nicht zuletzt befreien sie Tiere von Parasiten. „Wildschwei­ne stellen sich eine Stunde lang in den Ameisenhau­fen und lassen sich mit Säure besprühen“, erzählt er. „Danach fühlen sie sich wieder sauwohl.“

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Fotos: Marcus Merk Franz Bürger aus Nordendorf ist der Vorsitzend­e der Ameisensch­utzwarte Bayern. Im Wald zwischen Ehgatten und Streitheim hat er vier Ameisenhüg­el gesichert, die er im nächsten Frühjahr umsiedeln wird.
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Die Ameisenhüg­el müssen umziehen, weil in unmittelba­rer Nähe die neue Umge hungsstraß­e gebaut wird. Sie sind mit Farbe und Absperrban­d gekennzeic­hnet.
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