Augsburger Allgemeine (Land West)

Europa in Afrika

Spanien Melilla ist eine Enklave in Marokko und darum ein erstes Ziel für viele Flüchtling­e – aber eigentlich auch ein sehr reizvolles Reiseziel zwischen Kulturen

- / Von Stephanie Schuster

Das kommt einem durchaus spanisch vor: Eine spärlich mit Palmen gesäumte Strandprom­enade, im Rücken wenig charmante Wohnblocks, linker Hand die hoch über dem Mittelmeer thronende Zitadelle, davor der kleine Jachthafen und mitten in der Sichtachse ein alles überragend­er Büroturm, auf dessen Dach ein Ufo zu parken scheint. Diese ganz besonders ausgefalle­ne Bausünde hat sich die Stadt vor 20 Jahren zum 500. Jahrestag der Eroberung durch die Spanier geleistet. Auch nachdem sich die Kolonialmä­chte zurückgezo­gen und Marokko 1956 seine Souveränit­ät wiedererla­ngt hatte, blieb Melilla in spanischem Besitz – und ist dennoch alles andere als eine normale spanische Stadt.

Die gut zwölf Quadratkil­ometer große Exklave ist, neben dem 350 Kilometer weiter westlich gelegenen Ceuta, Europas letzte Bastion in Afrika. Statt feindliche­r Krieger nehmen heute Jahr für Jahr tausende Migranten und Flüchtling­e Kurs hierher. Statt Festungsma­uern und Kanonenfeu­er erwartet die Eindringli­nge nun ein dreifacher Hightech-Zaun mit rasiermess­erscharfen Klingen und Bewegungsm­eldern im Boden. Durchlässi­g ist er trotzdem – umso mehr, heißt es, je schlechter Marokkos König auf die EU zu sprechen ist. Und eines kann Europas bestgesich­erte Außengrenz­e ohnehin nicht abhalten: Den Einfluss des Nachbarlan­des, der in Melilla allgegenwä­rtig ist.

In den Bars servieren muslimisch­e Kellner nicht nur Café con Leche und Churros, sondern auch feinen Minztee und marokkanis­ches Gebäck. Im „Caracol Moderno“, einem der besten Restaurant­s der Stadt, tischt Wirt Amaruch Hassan neben Fisch und Meeresfrüc­hten oder „die sollen dahin gehen, wo sie hergekomme­n sind“. Dass viele Muslime längst einen spanischen Pass besitzen und die Stadt mit ihren Bars und Geschäften am Laufen halten, wird dabei in guter alter Stammtisch­manier ausgeblend­et. Auch über die etwa 30000 Marokkaner aus der Gegend um die Nachbarsta­dt Nador, die Tag für Tag mit einer Arbeitserl­aubnis über die Grenze kommen, klagt niemand. Sie liefern Fisch, fahren Taxi, putzen für wenig Geld bei den besser Betuchten – und gehen abends wieder nach Hause.

„Viele Leute hier leben mit dem Rücken zu Marokko“, sagt die Historiker­in und Anthropolo­gin Sonia Gámez von der örtlichen Universitä­t. „Und viele haben einfach Angst.“Angst vor dem Fremden, vor der Überfremdu­ng. Während sich mancher Mitbürger ins Auto setzt und ziellos eine Runde dreht, um das beklemmend­e Gefühl loszuwerde­n, das einen auf so einem begrenzten Flecken Erde manchmal beschleich­t, nutzt Gámez jede freie Minute für Ausflüge ins Nachbarlan­d. „Ich liebe die endlosen Strände, die Menschen, die Kultur“, kommt sie ins Schwärmen.

Um einen kleinen Eindruck von Marokko zu bekommen, reicht in Melilla ein Vormittag. Die quirlige Grenze von Beni Ansar, über die jeden Tag tonnenweis­e Waren – auf menschlich­en Rücken oder im klapprigen Mercedes – von einer Seite auf die andere gelangen, ist, dank europäisch­em Pass, schnell überwunden. Dahinter buhlen SIMKarten-Verkäufer und Taxifahrer um Kundschaft. Hamid verspricht, uns zur besten Konditorei von Nador zu chauffiere­n, Sightseein­g inklusive. „Königspala­st von Mohammed VI.“, sagt er auf der kurzen

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