Augsburger Allgemeine (Land West)
Europa in Afrika
Spanien Melilla ist eine Enklave in Marokko und darum ein erstes Ziel für viele Flüchtlinge – aber eigentlich auch ein sehr reizvolles Reiseziel zwischen Kulturen
Das kommt einem durchaus spanisch vor: Eine spärlich mit Palmen gesäumte Strandpromenade, im Rücken wenig charmante Wohnblocks, linker Hand die hoch über dem Mittelmeer thronende Zitadelle, davor der kleine Jachthafen und mitten in der Sichtachse ein alles überragender Büroturm, auf dessen Dach ein Ufo zu parken scheint. Diese ganz besonders ausgefallene Bausünde hat sich die Stadt vor 20 Jahren zum 500. Jahrestag der Eroberung durch die Spanier geleistet. Auch nachdem sich die Kolonialmächte zurückgezogen und Marokko 1956 seine Souveränität wiedererlangt hatte, blieb Melilla in spanischem Besitz – und ist dennoch alles andere als eine normale spanische Stadt.
Die gut zwölf Quadratkilometer große Exklave ist, neben dem 350 Kilometer weiter westlich gelegenen Ceuta, Europas letzte Bastion in Afrika. Statt feindlicher Krieger nehmen heute Jahr für Jahr tausende Migranten und Flüchtlinge Kurs hierher. Statt Festungsmauern und Kanonenfeuer erwartet die Eindringlinge nun ein dreifacher Hightech-Zaun mit rasiermesserscharfen Klingen und Bewegungsmeldern im Boden. Durchlässig ist er trotzdem – umso mehr, heißt es, je schlechter Marokkos König auf die EU zu sprechen ist. Und eines kann Europas bestgesicherte Außengrenze ohnehin nicht abhalten: Den Einfluss des Nachbarlandes, der in Melilla allgegenwärtig ist.
In den Bars servieren muslimische Kellner nicht nur Café con Leche und Churros, sondern auch feinen Minztee und marokkanisches Gebäck. Im „Caracol Moderno“, einem der besten Restaurants der Stadt, tischt Wirt Amaruch Hassan neben Fisch und Meeresfrüchten oder „die sollen dahin gehen, wo sie hergekommen sind“. Dass viele Muslime längst einen spanischen Pass besitzen und die Stadt mit ihren Bars und Geschäften am Laufen halten, wird dabei in guter alter Stammtischmanier ausgeblendet. Auch über die etwa 30000 Marokkaner aus der Gegend um die Nachbarstadt Nador, die Tag für Tag mit einer Arbeitserlaubnis über die Grenze kommen, klagt niemand. Sie liefern Fisch, fahren Taxi, putzen für wenig Geld bei den besser Betuchten – und gehen abends wieder nach Hause.
„Viele Leute hier leben mit dem Rücken zu Marokko“, sagt die Historikerin und Anthropologin Sonia Gámez von der örtlichen Universität. „Und viele haben einfach Angst.“Angst vor dem Fremden, vor der Überfremdung. Während sich mancher Mitbürger ins Auto setzt und ziellos eine Runde dreht, um das beklemmende Gefühl loszuwerden, das einen auf so einem begrenzten Flecken Erde manchmal beschleicht, nutzt Gámez jede freie Minute für Ausflüge ins Nachbarland. „Ich liebe die endlosen Strände, die Menschen, die Kultur“, kommt sie ins Schwärmen.
Um einen kleinen Eindruck von Marokko zu bekommen, reicht in Melilla ein Vormittag. Die quirlige Grenze von Beni Ansar, über die jeden Tag tonnenweise Waren – auf menschlichen Rücken oder im klapprigen Mercedes – von einer Seite auf die andere gelangen, ist, dank europäischem Pass, schnell überwunden. Dahinter buhlen SIMKarten-Verkäufer und Taxifahrer um Kundschaft. Hamid verspricht, uns zur besten Konditorei von Nador zu chauffieren, Sightseeing inklusive. „Königspalast von Mohammed VI.“, sagt er auf der kurzen